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Kalligraphie
Kal|li|gra|phie 〈f. 19; unz.〉 = Kalligrafie

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Kal|li|gra|phie usw.:
Kalligrafie usw.

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Kalligraphie
 
[griechisch] die, -, die Kunst des schönen Schreibens, Schriftkunst, am höchsten entwickelt im Islam, in China und Japan. Die Ausbildung der Kalligraphie in den verschiedenen Kulturen steht oft in religiösem Kontext und verbindet sich vielfach mit ästhetischen, moralischen und Bildungsqualitäten. (Schrift)
 
Im Islam erhält die Kalligraphie ihren Rang als Schrift des offenbarten Buches, des Koran. Sie hat nicht nur in der Buchkunst, sondern ebenso gut in der Architektur und im Kunstgewerbe (Keramik, Metallarbeiten, Textilien usw.) ihren Platz. V. a. anfangs bildete Schrift oft den einzigen Dekor eines Gegenstands, später wurde sie mit anderen ornamentalen Elementen verschmolzen. Ihre Anwendung in der Ornamentik spielte eine wichtige Rolle für die Entwicklung der Schriften. Bis ins 12. Jahrhundert herrschte das Kufi vor, eine Lapidarschrift, deren Besonderheit es ist, dass ihre 28 Buchstaben bis auf fünf (diese greifen in den oberen Zeilenrand aus) nur das Mittelfeld des Zeilenraumes einnehmen. Seit Mitte des 10. Jahrhunderts werden ihre Enden in die Höhe gezogen (strenges Kufi). Unter den Ghasnawiden entstand das blühende Kufi, bei dem die Schrift sich von einem Rankengrund abhebt. In der timuridischen und safawidischen Kalligraphie verschmelzen die Elemente. Seit dem 10. Jahrhundert wurden die meisten Korane in Neschi geschrieben, einer Schrift mit rundem Duktus. Kursivschriften gab es seit frühislamischer Zeit, sie wurden in einer kanonischen Gruppe von sechs Schriften zusammengefasst; die Systematisierung erfolgte durch den Wesir Ibn Mukla im 10. Jahrhundert Neben Neschi spielte v. a. das Thuluth (Tulut) eine Rolle, es wurde gerne für Überschriften benutzt. Es ist auch auf Metall- und Lederarbeiten zu finden. Neschi konnte auch als künstlerischer Effekt neben Kufi eingesetzt werden, besonders im Architekturdekor. Das redende Neschi und Kufi zeigen an den Enden kleine Gesichter (Köpfchen). Zu den bekanntesten Kalligraphen zählen neben Sultanen, Prinzen und Wesiren Ibn al-Bawwab (✝ 1022) und Jakut al-Musta Simi (✝ 1298). In Iran nahm die Kalligraphie eine eigene Entwicklung durch das aus dem Neschi entwickelte Talik; das von Mir Ali (✝ 1446) aus Täbris um 1400 daraus entwickelte Nastalik wurde zur vorherrschenden Buchschrift in Persien; es ist durch Dehnung der Horizontalen gekennzeichnet und zielt auf eine schwebende und leichte Wirkung. Eine schwer lesbare Schmuck- und Urkundenschrift ist das in der osmanischen Türkei verwendete Diwani.
 
Ostasien:
 
Mit der Übernahme des Konfuzianismus und Buddhismus aus China breitete sich die chinesische Schrift in Korea und Japan aus. Die auf eine Zahl von rd. 50 000 geschätzten Schriftzeichen sind lautunabhängige Ideogramme, deren einzelne Bestandteile auf Bilderzeichen zurückgehen (chinesische Sprache und Schrift). Das chinesische Schriftsystem hat das ästhetische Formgefühl Ostasiens entscheidend geprägt. Die mit einem flexiblen Haarpinsel geschriebene Kalligraphie galt als eine Kunstform, in der Bildung, Charakter und Emotionalität des Schreibers ihren unverwechselbaren Niederschlag fanden.
 
In China löste sich die Kalligraphie (chinesisch Shu-fa, »Lehre von der Schrift«) zwischen dem 3. und 6. Jahrhundert aus der handwerklichen Anonymität. Dies bezeugt die früheste erhaltene Literatur zur Ästhetik der Kalligraphie, in der nicht nur Künstlerpersönlichkeiten fassbar werden, sondern auch Hinweise auf das Bestehen von Kalligraphiesammlungen enthalten sind. Die überragenden Gestalten der chinesischen Kalligraphiegeschichte sind Wang Xizhi und sein Sohn Wang Xianzhi (* 344, ✝ 388). Wang Xizhi formulierte eine klassische Synthese im Bereich der Standardschrift (Kai-shu) und der freieren Kursivschrift (Xing-shu). Kennzeichen seines monumentalen Stils sind elegante, differenzierte Strichmodulationen und Ausgewogenheit der Gesamtkomposition. Xianzhi entwickelte die Konzeptschrift (Cao-shu) weiter, wobei er häufig mehrere Zeichen in einem einzigen schwungvollen Pinselzug verschmolz. Im 7. Jahrhundert wurde Wang Xizhis Stil zum allgemeinen Vorbild. Im 8. Jahrhundert erfolgte eine Gegenreaktion, die sich einerseits im Rückgriff auf archaische Schrifttypen wie Siegelschrift (Zhuan-shu), Kanzleischrift (Li-shu) und die weniger eleganten Steleninschriften der Nördlichen Dynastien des 3.-6. Jahrhunderts äußerte, andererseits in der Erprobung expressiverer Methoden. Die Hauptrepräsentanten dieser Bewegung sind neben Li Yangbing (8. Jahrhundert) und Xu Hao (* 703, ✝ 782) Yan Zhenqing (* 709, ✝ 785) und Huaisu. Mit der Formulierung des Literatenideals (Literatenmalerei) in der Songzeit erweisen sich in der Kalligraphie die individuellen Ausdrucksmöglichkeiten. Seit dem 10. Jahrhundert kamen Kopierbücher (Fa-tieh) mit Steinabreibungen oder Holzdrucken von Werken alter Meister zunehmend in Umlauf. Das freie Spiel mit verschiedenen Schrifttypen und Stilelementen, die individualistische Verfremdung klassischer Vorbilder und zugleich das Bemühen um spontane Direktheit und Vermeidung routinierter Glätte sind kennzeichnend für die Kalligraphie der großen Literatenkünstler Huang Tinjian (* 1045, ✝ 1105), Su Shi (* 1036, ✝ 1101) und Mi Fu. In der Literatenkunst der Ming- und Qingzeit verbanden sich Kalligraphie und Malerei zu untrennbaren Schwesterkünsten, was sich u. a. in den Bildaufschriften zeigt, die zum integralen Bestandteil der Malerei wurden.
 
Japan:
 
Als die chinesische Schrift und mit ihr die Kunst der Kalligraphie (japanisch Shodō, »Weg der Schrift«) im 5./6. Jahrhundert in Japan eingeführt wurde, waren bereits alle Schrifttypen fertig entwickelt. In Stiftungs- und Gedenkinschriften auf Waffen, Spiegeln, buddhistischen Bildwerken und Stelen wie beim Kopieren buddhistischer Texte (Shakyō) bevorzugte man die leicht lesbare Standardschrift (Kaisho); auch zu Beginn der Heianzeit orientierten sich Adel und buddhistische Priesterschaft noch an Wang Xizhi und an den Meistern der frühen Tangzeit. Beispielhaft für diese Richtung (Karayō, wörtlich: »Tangstil«, d. h. Stil der chinesischen Tangdynastie) sind die Kursiv- und Konzeptschrift (Gyōsho; Sōsho) des Priesters Kūkai (* 773, ✝ 835) und des Kaisers Saga (* 784, ✝ 840). Im 10. Jahrhundert fand eine Japanisierung und Angleichung an den höfischen Geschmack statt, die sich u. a. in einem aristokratisch graziösen Duktus bemerkbar machte. Repräsentanten dieses japanischen Stils (Wayō) sind Ono no Tōfū (* 896, ✝ 966) und Fujiwara no Yukinari (* 972, ✝ 1027). Im Zusammenhang mit der Japanisierung entwickelten sich seit dem 9. Jahrhundert auch die japanischen Silbenschriften, Katakana und Hiragana. Die Hiragana wurde zum Ausdrucksmedium der poetischen Kultur am späten Heianhof, die Niederschriften von Gedichtsammlungen (Kashū) und Dichterwettstreiten (Utaawase) des 9.-13. Jahrhunderts zählen zu den Höhepunkten japanischer Kalligraphie. Mit dem Vordringen des Chan-(japanisch Zen-)Buddhismus gelangte auch die chinesische Literatenästhetik nach Japan. Neben den Kalligraphien chinesischer Chanpriester, die in China selbst wenig Beachtung fanden und zumeist verloren gingen, nahm man sich v. a. Yan Zhenqing und Huang Tinjian zum Vorbild. In der Frühphase des japanischen Zen ragen Eisai und Shunjō (* 1166, ✝ 1227) als Schriftkünstler heraus. Ihre Werke nannte man Bokuseki (»Tuschespuren«). Eine neue Welle chinesischen Einflusses gelangte in der Edozeit nach Japan. Der Ōbaku-Buddhismus gab der japanischen Zenkalligraphie neue Impulse; zugleich kam es zum Aufblühen einer Literatenschule (Bunjin-ga) auch in Japan. Daneben wurde der japanische Stil (Wayō) weiter gepflegt. Exemplarischen Charakter haben die Gedichtblätter von Honami Kōetsu auf eleganten, farbig dekorierten Albumblättern (Shikishi). In der japanischen Kalligraphie der Gegenwart hat sich unter dem Eindruck des abstrakten Expressionismus eine Avantgardebewegung entwickelt, der Zen'ei-Stil, bei dem die Zeichenelemente abstrakt verwendet werden.
 
Literatur:
 
L. Ledderose: Die Siegelschrift (Chuan-shu) in der Ch'ing-Zeit (1970);
 L. Ledderose: Mi Fu and the classical tradition of Chinese calligraphy (Princeton, N. J., 1979);
 E. Kühnel: Islam. Schriftkunst (Graz 21972);
 Y. Nakata: The art of Japanese calligraphy (a. d. Jap., New York 1973);
 R. Goepper: Shu-p'u. Der Traktat zur Schriftkunst des Sun Kuo-t'ing (1974);
 S. C. Y. Fu: Traces of the brush. Studies in Chinese calligraphy (New Haven, Conn., 1977);
 G. Debon: Grundbegriffe der chin. Schrifttheorie u. ihre Verbindung zu Dichtung u. Malerei (1978);
 F. Neugebauer: K. als Erlebnis. Baugesetze der Schrift - Schule des Schreibens (Salzburg 21981);
 S. E. Fuchs: Die Kunstschrift (1982);
 
Chinese calligraphy, hg. v. Y. Nakata (a. d. Jap., New York 1983);
 
Zen and the art of calligraphy, bearb. v. S. Ōmori u. a. (a. d. Jap., London 1983);
 
Chin. u. jap. K. aus 2 Jahrtausenden, hg. v. H. Götze (1987);
 M. Linsmann: Schriftähnl. Zeichen u. Strukturen in der Kunst des 20. Jh. (1991);
 
K. Schriftbeispiele von der Antike bis zur Gegenwart, bearb. v. E. Laschitz (1994, dt. u. engl.).

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Kal|li|gra|phie, die; - [griech. kalligraphía, zu: kalli- (in Zus.) = schön, zu: kalós = schön u. gráphein = schreiben]: Kunst des Schönschreibens: Ü Es gibt hier nichts Gekünsteltes, keine K., keine Literatur aus der Retorte (Deschner, Talente 178).

Universal-Lexikon. 2012.