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Genomforschung
Ge|nom|for|schung 〈f. 20〉 = Genomik

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Ge|nom|for|schung, die:
Forschung im Bereich der Genome.

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Genomforschung,
 
Bestrebungen, den Informationsgehalt der Erbanlagen von Menschen, Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen (genetische Information) zu entschlüsseln und zu nutzen. Voraussetzung dafür ist die detaillierte Beschreibung der Struktur des Genoms eines Organismus (die Gesamtheit seiner Erbanlagen), seiner Größe, seine Verteilung auf definierte Struktureinheiten (Chromosomen, Mitochondrien, Plastiden, extrachromosomale Strukturen) und die Aufklärung der Nukleotidsequenzen derartiger Einheiten. Die Nukleotidsequenz liefert im engeren Sinn die chemische Strukturformel eines Genoms. Darauf aufbauend können die genetischen Funktionseinheiten im Genom, die Gene und Regeleinheiten charakterisiert werden. Auf dieser Stufe wird Genomforschung zur Informationsforschung, die zu beschreiben versucht, wie komplexe biologische Prozesse als Ergebnis einer circa 4 Milliarden Jahre währenden Evolution funktionieren und reguliert werden. Gegenwärtig ist es möglich, die Nukleotidsequenzen auch großer Genome vollständig zu entziffern. Dazu wurden Genomprojekte begonnen, die dies mit erheblichem finanziellen und technischen Aufwand realisieren. Die Dokumentation dieser Daten ist auf konventionelle Weise nicht mehr zu erreichen; umfangreiche, über das Internet verfügbare Datenbanken sammeln und präsentieren die Ergebnisse. Allerdings liefern auch die modernsten Sequenzierautomaten nur Sequenzen von etwa 500-1000 Nukleotiden Länge, die miteinander in der richtigen Reihenfolge zusammengefügt werden müssen. Die Schwierigkeiten werden deutlich, wenn man berücksichtigt, dass z. B. zur Beschreibung des haploiden menschlichen Genoms mehr als 3 Milliarden Nukleotide (ungefähr 3 Gigabasen) in nur 24 Einheiten (22 Autosomen, 2 Geschlechtschromosomen) aneinandergefügt werden müssen. Die komplette Sequenz des menschlichen Genoms, wenn auch nicht in dieser idealen Version, wird vermutlich im Jahr 2003 vorliegen. Im Frühjahr 2001 waren aber bereits fast 3.3 Gigabasen zu circa 111000 Stücken vereinigt worden. Obwohl auch entsprechend circa 111000 Lücken in dieser Rohfassung enthalten sind, stellt diese Sequenz, wie auch die vergleichbaren Sequenzen anderer Genome, schon ein wichtiges Ergebnis und gleichzeitig neues Werkzeug der Genomforschung dar. Auf dieser Basis lassen sich die funktionellen Einheiten der Genome, die Gene, beschreiben und weiter gezielt untersuchen. Dabei kommt der Bioinformatik eine wichtige Rolle in der Genomforschung zu, denn ohne computergestützte Systeme ist die Erstellung, Integration und Verfügbarmachung der immensen Datenfülle in Datenbanken nicht möglich. Ebensowenig kann ohne die Bioinformatik eine vollständige Auswertung der Datenmengen zur Funktionsvorhersage von Nukleotidsequenzen auf der Grundlage theoretischer Modelle und durch die Integration von Expressions- und Strukturdaten aus zellbiologischen und biochemischen Untersuchungen vorgenommen werden. Gerade dieses »Data-Mining«, das Auffinden der Prinzipien der Informationsverschlüsselung in Genomen, d. h. die Aufklärung der Struktur-Funktions-Beziehungen, ist die gegenwärtig größte Herausforderung der Genomforschung. Von der Genomforschung wird erwartet, dass sie Biologie und Medizin sowie Teile der angewandten Natur-und der Ingenieurwissenschaften erheblich beeinflussen wird. Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms gilt als Voraussetzung, um Krankheiten zu verstehen und um neue präventive und therapeutische Ansätze für ihre Überwindung zu finden. So wurde von der Bundesregierung nach der im Februar 2001 veröffentlichten Rohfassung des menschlichen Genoms ein »Nationales Genomforschungsnetz« aufgebaut mit dem Ziel, die Aufklärung der Funktion medizinisch besonders relevanter menschlicher Gene voranzutreiben. Die Genomforschung muss sich dabei nicht allein auf die unmittelbare Analyse nur der menschlichen Gene beschränken. Ein Ergebnis der Genomforschung war u. a. der Befund, dass sich zwischen verschiedenen Organismen eine große Ähnlichkeit ihrer Genome in der Evolution erhalten hat. So sind die Gene von Mensch und Primaten fast vollständig identisch (98%) und die von Mensch und Maus zu über 80%. Selbst für zum Menschen evolutionär weit entfernte Organismen wie den Fadenwurm, die Taufliege oder selbst Hefe und Bakterien lassen sich genetische Ähnlichkeiten nachweisen. Die Grundlage dieser Befunde ist die gemeinsame Abstammung aller Organismen. Damit ist aber auch die Übertragbarkeit von Erkenntnissen der Genomanalyse von Modellorganismen auf den Menschen möglich. Ratten können z. B. wie der Mensch durch falsche Ernährung an Bluthochdruck oder Diabetes erkranken, und das Rattengenom beherbergt demnach die für die Entstehung und Entwicklung dieser Erkrankung bedeutsamen Gene, deren Auffinden und Analyse Rückschlüsse auf den Menschen zulassen. Dabei ist nicht nur die Analyse des eigentlichen Genoms des Menschen oder eines Modellorganismus für die Genomforschung ausreichend, vielmehr wird auch die Untersuchung der durch das Genom bestimmten Transkriptome und Proteome die Funktionsweise (und das krankheitshervorrufende fehlerhafte Funktionieren) eines Genoms aufklären helfen. Die Genomforschung ist daher immer auch an die Untersuchung der RNA-Moleküle und Proteine einer Zelle gebunden und wird von Fortschritten auf diesen Gebieten profitieren.
 
Zwischen Vertretern einer Spezies, z. B. zwischen verschiedenen menschlichen Individuen bestehen offensichtliche Unterschiede im Phänotyp (z. B. unterschiedliches Aussehen, unterschiedliche Empfänglichkeit gegenüber Krankheiten), die ihre Ursachen in der Variation des Genoms haben. Die Genomforschung widmet sich daher auch der Aufklärung derartiger Unterschiede. Verschiedene Polymorphismen wie das Auftreten von Längenpolymorphismen oder auch nur der Austausch einer einzigen Base (single nucleotide polymorphism, Abkürzung SNP: SNPs) sind mit dem Auftreten von Krankheiten assoziiert und können wertvolle genetische Marker für solche Erkrankungen sein. Die Entwicklung sensitiver Technologien zum Nachweis von SNPs wird als wichtiger Beitrag der Genomforschung zur Individualisierung medizinischer Interventionen gesehen. Ziel ist hierbei, eine auf den individuellen Patienten abgestimmte Therapie einsetzen zu können, so dass Medikamenten-Nebenwirkungen vermieden werden können und eine effektive Dosierung möglich wird. Neben der unmittelbaren medizinischen Anwendung der Ergebnisse der Genomforschung durch die Analyse menschlicher Gene hat auch die Genomanalyse pathogener Organismen für die Genomforschung einen wichtigen Stellenwert. Bei Kenntnis dieser Genome lassen sich schnell und sicher Pathogene nachweisen und gegen solche Pathogene gerichtete Therapien in ihrem Verlauf kontrollieren. Die Genomforschung kann außerdem dazu beitragen, Infektionsmechanismen und Virulenzfaktoren aufzuklären, indem z. B. die Genome von verwandten pathogenen und nicht-pathogenen Erregern vergleichend bewertet werden. Die Entwicklung wirksamer Antibiotika und Impfstoffe wird durch die Genomforschung ebenfalls erleichtert.
 
Die pflanzliche Genomforschung hatte ihren bisherigen Höhepunkt in der Totalsequenzierung des Genoms der Ackerschmalwand (Schmalwand). Das weitere Interesse konzentriert sich auf die Analyse der Genome wichtiger Nutzpflanzen, in Deutschland auf die Gerste. Erwartet wird von der Genomforschung an grünen Pflanzen die Eröffnung neuer Möglichkeiten für eine effizientere und dabei umweltfreundliche landwirtschaftliche Produktion sowie die Erzeugung völlig neuartiger Nahrungsmittel. Einen wichtigen Beitrag kann die pflanzliche Genomforschung auch zur Beschreibung natürlicher Ökosysteme leisten, indem die molekularen Grundlagen der Biodiversität von Pflanzen und ihrer Ökotypen charakterisierbar werden.
 
Die Genomforschung ist in den Industrieländern und vor allem in den USA bereits ein bedeutender Wirtschaftsfaktor geworden. Zahlreiche Pharma- und Agrarunternehmen setzen große finanzielle und personelle Resourcen in der Genomforschung ein. Allein in die Humangenomforschung wurden 1998 in den USA circa 250 Mio. US$ an öffentlichen Forschungsgeldern investiert, ein vergleichbarer Einsatz aus privaten Quellen erweitert noch diesen finanziellen Aufwand. Weltweit sind zahlreiche öffentliche und private Zentren entstanden, die sich ausschließlich mit Genomforschung befassen. Gerade durch ihre Bedeutung für die Medizin hat die Genomforschung eine zunehmende Akzeptanz in der Gesellschaft erworben, die ihrer Bedeutung als ein zentrales Wissenschaftsgebiet im 21. Jahrhundert entspricht.

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Ge|nom|for|schung, die: Forschung im Bereich der Genome.

Universal-Lexikon. 2012.