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Saint-Simon
Saint-Simon
 
[sɛ̃si'mɔ̃],
 
 1) Claude Henri de Rouvroy [də ru'vwra], Graf von, französischer Sozialtheoretiker, * Paris 17. 10. 1760, ✝ ebenda 19. 5. 1825, Enkel von 2); kämpfte im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg; zu Beginn der Französischen Revolution erwarb er ein Vermögen durch Spekulationen mit Nationalgütern, verarmte jedoch bald wieder. Seine Gedanken wirkten sich auf den Positivismus, die Entwicklung der Soziologie, den Sozialismus, die Idee eines vereinten Europa und den Pazifismus aus. - Aus der Analyse des Feudalismus und des beginnenden Industrialisierungsprozesses suchte Saint-Simon Folgerungen für die gesellschaftliche Ordnung zu ziehen. Die wirtschaftliche Elite, zu der er alle produktiv Tätigen (»la classe industrielle«), d. h. Arbeiter, Bauern, Unternehmer und Bankiers, zählte, galt für ihn als Hauptstütze einer hierarchisch organisierten Gesellschaft. Der arbeitenden Elite obliege es, Arbeit für alle zu schaffen und den zu erreichenden Wohlstand den Angehörigen der zahlreichsten und ärmsten Klasse zugute kommen zu lassen. Mit technokratischen Mitteln sollte die von ihm scharf kritisierte Ausbeutung, deren Grund er im bestehenden Eigentumsrecht erkannte, überwunden und die Freiheit der Menschen verwirklicht werden. Das Privateigentum sollte dabei nicht abgeschafft, sondern nur beschränkt und besser genützt werden. - Saint-Simons Gedanken wirkten nach seinem Tod im Saint-Simonismus weiter.
 
Werke: De la réorganisation de la société européenne (1814); L'organisateur, 2 Bände (1819-20); Nouveau christianisme (1825).
 
Ausgabe: Œuvres, 47 Bände (1865-78, Nachdruck 1963-64, 24 Bände).
 
Literatur:
 
Die Lehre S.-S.s, hg. v. G. Salomon-Delatour (a. d. Frz., 1962);
 R. P. Fehlbaum: S.-S. u. die Saint-Simonisten (Basel 1970);
 M. Hahn: Präsozialismus, C.-H. de S.-S. (1970);
 R. M. Emge: S.-S. Einf. in ein Leben u. Werk, eine Schule, Sekte u. Wirkungsgesch. (1987);
 D. Pietz: Zur literar. Rezeption des Comte de S.-S. (1996).
 
 2) Louis de Rouvroy [də ru'vwra], Herzog von, französischer Schriftsteller, * Versailles 16. 1. 1675, ✝ Paris 2. 3. 1755, Großvater von 1); war Offizier, nahm jedoch aus Enttäuschung über die ihm versagt gebliebenen angestrebten politischen Ämter 1702 seinen Abschied. Er gehörte der geheimen Opposition gegen Ludwig XIV. um Louis Herzog von Bourgogne an und wurde als dessen Freund 1715 in den Regentschaftsrat berufen. Nach dem Tod des Regenten (1723) zog er sich aus der Politik und vom Hof zurück und widmete sich der Redaktion seiner »Mémoires« (entstanden 1694-1752, herausgegeben 1788, 2 Bände, 1. Gesamtausgabe 1829-30, 21 Bände). Sie umfassen die Zeit von 1694 bis 1723 und präsentieren ein brillant geschriebenes Bild des französischen Hoflebens in der letzten Regierungsphase Ludwigs XIV. und unter der Régence aus der subjektiv-pessimistischen Perspektive des verbitterten Aristokraten. Vermeintliche Missstände am Hof und politische Fehlentscheidungen (darunter die Aufhebung des Edikts von Nantes 1685) werden heftiger Kritik unterzogen; ebenso wird das absolutistische Regierungssystem Ludwigs XIV. aus der Sicht des für die Wiederherstellung seiner traditionellen Rechte und eine ständische Verfassung eintretenden französischen Feudaladels angegriffen.
 
Ausgaben: Mémoires, herausgegeben von Y. Coirault, 8 Bände (1983-88).
 
Die Memoiren des Herzogs von Saint-Simon, herausgegeben von S. von Massenbach, 4 Bände (Neuausgabe 1985).
 
Literatur:
 
Y. Coirault: L'optique de S.-S. (Paris 1965);
 J. de La Varende: Monsieur le duc de S.-S. et sa comédie humaine (Neuausg. Paris 1983);
 J. Cabanis: S.-S. ambassadeur ou le siècle des lumières (ebd. 1987);
 C. Guilbert: S.-S. ou l'encre de la subversion (ebd. 1994);
 E. Le Roy Ladurie: S.-S. ou le système de la Cour (ebd. 1997).
 

Universal-Lexikon. 2012.