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Reichsreform
I
Reichsreform,
 
1) im Heiligen Römischen Reich die im 15. und 16. Jahrhundert unternommenen Versuche, die seit dem Untergang des staufischen Kaisertums in Auflösung begriffene Reichsverfassung umzugestalten und die Rechtsunsicherheit zu beseitigen. Das Verlangen nach einer Reichsreform wurde durch gleichzeitige Bemühungen um eine Reform der Kirche verstärkt. Gelehrte (z. B. Nikolaus von Kues, »De concordantia catholica«, 1433/34) und Publizisten (z. B. der Verfasser der Reformatio Sigismundi, 1438/39) beschäftigten sich mit der Reichsreform, die den Reichsständen ein Mitspracherecht in Reichsangelegenheiten sichern und die Befugnisse des Kaisers einschränken sollte. Versuche scheiterten auf den Reichstagen 1434-38.
 
Unter König Maximilian I. wurde der Gedanke der Reichsreform im monarch. und im ständischen Sinne neu belebt. Unter Führung des Mainzer Erzbischofs Berthold von Henneberg suchten die Reichsstände den König zur Umgestaltung der Reichsregierung in ihrem Sinne zu nötigen. Ihr Ziel war die Errichtung eines Reichsregiments, eines ständigen fürstlichen Ausschusses, an dessen Mitwirkung und Zustimmung der König gebunden sein sollte. Da Maximilian die Unterstützung des Reichs für seine Kriege gegen Frankreich brauchte, kam er diesen Wünschen in gewissem Umfang entgegen. Der Wormser Reichstag von 1495 hob das Fehderecht auf (Ewiger Landfriede), beschloss die Errichtung des vom König unabhängigen Reichskammergerichts und eine allgemeine Reichssteuer, den Gemeinen Pfennig. Der Reichstag sollte fortan jährlich zusammentreten. Das von den Ständen geforderte Reichsregiment lehnte Maximilian zunächst ab; auf dem Augsburger Reichstag (1500) musste er es zugestehen, doch löste er es 1502 wieder auf; sein Sitz war in Nürnberg. Die Einteilung der Reichskreise (1500/12) sollte die Reichsstände in festeren territorialen Bereichen verbinden.
 
Zunächst mit der Wahlkapitulation Karls V. (1519; 2. Reichsregiment) fortgesetzt, scheiterten dessen Versuche, nach dem Schmalkaldischen Krieg die Reichsverfassung im monarch. Sinn umzugestalten (»geharnischter« Reichstag zu Augsburg, 1547/48), am Widerstand der Fürsten. Die Reichsreform kam zu einem vorläufigen Abschluss auf dem Augsburger Reichstag von 1555, der die alten Einrichtungen erneuerte.
 
Literatur:
 
H. Angermeier: Die R. 1410-1555 (1984);
 K.-F. Krieger: König, Reich u. R. im Spätmittelalter (1992).
 
 2) im Deutschen Reich die 1919 einsetzenden Bestrebungen, die Gebietsgliederung des Reichs und das Verhältnis der Länder zum Reich umzugestalten. Die Weimarer Reichsverfassung von 1919 hob die enge Verbindung des Reichs mit Preußen auf. Die in Art. 18 gegebene Möglichkeit, Preußen in seine Provinzen aufzugliedern, blieb ungenutzt. Bestrebungen einer Neuordnung besonders in Norddeutschland hatten nur geringen Erfolg. In der Weimarer Republik wurden der Anschluss des Landes Coburg an Bayern, die Vereinigung der thüringischen Staaten zum Land Thüringen (1920) und der Anschluss Waldeck-Pyrmonts an Preußen (1929, Pyrmont schon 1922) durchgeführt. In der NS-Zeit wurden 1934 die beiden Mecklenburg vereinigt, 1937 Groß-Hamburg gebildet, Lübeck an Preußen angeschlossen und Gebietsteile zwischen Preußen, Oldenburg und Mecklenburg ausgetauscht. Eine Neugliederung des Reichsgebiets nach stammesmäßigen, landschaftlichen, geschichtlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten scheiterte an Gegensätzen innerhalb der NSDAP sowie zwischen Partei und Staat.
 
Im Hinblick auf das staatsrechtliche Verhältnis Reich - Länder entwickelte sich seit 1926 eine breite Bewegung der Reichsreform. Aber weder die Vorschläge eines »dezentralisierten Einheitsstaats« (E. Koch-Weser) noch die des 1928 unter dem Vorsitz des ehemaligen Reichskanzlers H. Luther gegründeten »Bundes zur Erneuerung des Reiches« (Lutherbund) oder die der von den Regierungen des Reichs und der Länder beschickten »Länderkonferenz« (1928-30) wurden durchgeführt. Nach 1933 gestaltete die nationalsozialistische Reichsregierung auf diktatorischem Weg das Verhältnis Reich-Länder durch die Gleichschaltung, Einsetzung von Reichsstatthaltern, Aufhebung der Staatlichkeit der Länder und Bildung von Reichsgauen im unitarisch-zentralistischen Sinn um.
II
Reichsreform
 
Im 15. Jahrhundert mehrten sich die Klagen der Zeitgenossen über zahlreiche Missstände im Reich (allgemeine Rechtsunsicherheit durch Mängel in der Gerichtsverfassung und das überhand nehmende Fehdewesen, Schutzlosigkeit des Reiches vor äußerer Bedrohung durch eine unzulängliche Wehrverfassung). Während das Königtum - zeitweise im Bündnis mit dem Niederadel und den Reichsstädten - auf eine Stärkung der monarchischen Zentralgewalt bestand, sahen Kurfürsten und Fürsten die Lösung eher in der Entmachtung des Kaisers zugunsten einer institutionalisierten reichsständischen Mitwirkung an der Reichsgewalt.
 
Obwohl die Problematik in der zeitgenössischen Publizistik (siehe auch Nikolaus von Kues) wie auch auf zahlreichen Reichstagen des 15. Jahrhunderts in der Form von Vorschlägen und Gegenvorschlägen erörtert wurde, waren die Interessengegensätze zu groß, um zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen.
 
Der Durchbruch erfolgte erst in der Regierungszeit König Maximilians I., der sich, um Unterstützung in seinen Kriegen gegen Frankreich zu erhalten, dazu verstand, den Forderungen der Reichsstände - vertreten vor allem durch den Mainzer Erzbischof Berthold von Henneberg - wenigstens teilweise entgegenzukommen. So beschloss der Wormser Reichstag vom Jahre 1495, das Fehderecht zugunsten eines »Ewigen Landfriedens« aufzuheben und das Gerichtswesen durch die Errichtung eines vom König weitgehend unabhängigen Reichskammergerichts neu zu ordnen. Zur Stärkung der Reichsfinanzen wurde eine allgemeine Reichssteuer (Gemeiner Pfennig) eingeführt, die an den König abzuführen war.
 
Auf dem Augsburger Reichstag vom Jahre 1500 sah König Maximilian sich außerdem genötigt, der Errichtung des Reichsregiments, einer Art ständischer Reichsregierung, an deren Zustimmung die Regierungsmaßnahmen des Königs gebunden sein sollten, zuzustimmen. Zur Durchführung der Reichsexekution gegen Landfriedensbrecher wie auch zur Vollstreckung der Reichskammergerichtsurteile wurde ferner auf den Reichstagen von Augsburg (1500) und Trier/Köln (1512) eine Reichsexekutionsordnung beschlossen, die auf einer Einteilung des Reiches in überterritoriale Verwaltungseinheiten (Reichskreise) beruhte.
 
Während weder das Reichsregiment noch die allgemeine Reichssteuer sich als dauerhafte Institutionen durchsetzten, wurden die übrigen Ergebnisse der Reichsreform, Ewiger Landfriede, Reichskammergericht und Reichsexekutionsordnung, auf dem Augsburger Reichstag vom Jahre 1555 - wenn auch mit einigen Modifizierungen - bestätigt, wodurch die Reichsreform zu einem gewissen Abschluss gebracht wurde.

Universal-Lexikon. 2012.