Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst
Die Markgrafschaft Brandenburg war im Zuge der deutschen Ostsiedlung um die Mitte des 12. Jahrhunderts entstanden und 1417 in den Besitz der Hohenzollern gekommen. Die Goldene Bulle zählte den Markgrafen von Brandenburg zu den sieben Kurfürsten. Mit der lutherischen Kirchenordnung von 1539 vollzog das Land den entscheidenden Schritt zur Reformation. Seit 1613 waren die Kurfürsten calvinistisch, ohne dieses Bekenntnis im Land durchzusetzen. Der Gewinn der Herzogtümer Kleve und Mark mit Ravensberg (1614) und des Herzogtums Preußen als polnisches Lehen (1618) schuf eine extreme Streulage der brandenburgischen Territorien, die der »Große Kurfürst« Friedrich Wilhelm zu überwinden suchte.
Geboren in Berlin (Cölln) am 16. Februar 1620, verbrachte er einige Jahre am Hof der calvinistischen Oranier im Haag, wo er eine politische und militärische Ausbildung erhielt. 1640 trat er die Regierung in seinem durch den Dreißigjährigen Krieg verwüsteten Land an. Nachdem er im Westfälischen Frieden Hinterpommern und die säkularisierten Bistümer Cammin, Minden und Halberstadt sowie die Anwartschaft auf Magdeburg erhalten hatte, galten seine Bemühungen dem 1648 Schweden zugesprochenen Vorpommern mit dem Ostseehafen Stettin. Da er im Dreißigjährigen Krieg den Wert eines jederzeit einsatzbereiten Heeres erkannt hatte, baute er ein stehendes Heer auf. Damit griff er in die nachfolgenden Kriege ein, ohne vor rücksichtslosem Frontwechsel zurückzuschrecken, wenn er sich davon Vorteile versprach (»brandenburgisches Wechselfieber«). So gelang es ihm im ersten Nordischen Krieg (1655-60), durch einen Bündniswechsel von Schweden zu Polen die Souveränität über Preußen zu erreichen. Dagegen vernachlässigte er die Reichsinteressen fast völlig. 1674 nahm er am Reichskrieg gegen Frankreich teil, musste sich aber bald gegen die in Brandenburg eingefallenen Schweden wenden und schlug sie bei Fehrbellin (28. Juni 1675). Da er 1679 auf das bereits eroberte Vorpommern verzichten musste, schloss er sich enttäuscht Frankreich an. Als er am 9. Mai 1688 starb, war er jedoch führend an der Bildung einer europäischen Koalition gegen Ludwig XIV. beteiligt.
Im Innern hatte Friedrich Wilhelm im Sinne des Absolutismus ein relativ einheitliches Staatswesen geschaffen. Die Geldmittel für die Unterhaltung des Heeres rang er den Landständen ab, musste ihnen dafür allerdings weitgehende Herrschaftsrechte auf ihren Gütern einräumen. Um sich vom ständischen Steuerbewilligungsrecht unabhängig zu machen, führte er daneben nach niederländischem Vorbild ein indirektes Steuersystem ein. Die Verwaltungsorganisation baute er durch Errichtung besonderer Finanz- und Militärbehörden aus. Mit der Ansiedlung von über 20 000 aus Frankreich vertriebenen Hugenotten in Berlin und Brandenburg (Edikt von Potsdam, 1685) half der Kurfürst seinen Glaubensbrüdern, kurbelte aber auch im Zuge merkantilistischer Wirtschaftspolitik Industrie und Gewerbe an. Straßen- und Kanalbauten sowie Manufakturen wurden gefördert. Den Handelsinteressen diente auch die brandenburgische Kolonie Großfriedrichsburg an der Guineaküste, die brandenburgisch-afrikanische Handelsgesellschaft und der Bau einer Handelsflotte. So schuf der Große Kurfürst die Grundlagen für die spätere Großmacht Preußen.
Universal-Lexikon. 2012.