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Geburtenrückgang
Ge|bur|ten|rück|gang 〈m. 1uRückgang, Sinken der Geburtenzahl

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Ge|bur|ten|rück|gang, der:
Rückgang der Geburtenzahl.

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Geburtenrückgang,
 
das Absinken der absoluten Zahl der lebend Geborenen, der Geburtenrate (lebend Geborene auf 1 000 Einwohner) beziehungsweise der durchschnittlichen Zahl von Geburten je Frau in einer Bevölkerung. Besondere Beachtung fand der Rückgang der Geburtenrate, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts in vielen Ländern Nord- und Westeuropas einsetzte. In Frankreich begann dieser Prozess bereits in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts. In Deutschland gab es im 20. Jahrhundert starke Geburtenrückgänge im Ersten Weltkrieg, in der Weltwirtschaftskrise Anfang der 30er-Jahre, im und nach dem Zweiten Weltkrieg sowie in den neuen Bundesländern nach der Wiedervereinigung. Der europäische demographische Übergang im 18.-19. Jahrhundert dient heute als Modell für die Bevölkerungsentwicklung der Entwicklungsländer. Allerdings ist dort die Sterberate wesentlich niedriger und die Geburtenrate wesentlich höher als vor 100 bis 200 Jahren in den Industrieländern. Dabei wird versucht, dort den Rückgang der Geburtenrate (bei meist weiterhin wachsender absoluter Geburtenzahl) durch Bevölkerungs- und Entwicklungspolitik zu beschleunigen. Infolge der in diesen Ländern noch jungen Altersgliederung kann die absolute Geburtenzahl noch steigen beziehungsweise stagnieren und das Bevölkerungswachstum andauern, obwohl die Zahl der gewünschten Kinder und die tatsächliche Kinderzahl pro Frau sinken (Population-Momentum). Erst ein ein Jahrzehnt anhaltender Rückgang der Geburtenrate führt zu einer veränderten, gealterten Altersgliederung und weitere ein bis zwei Jahrzehnte später zu einem absoluten Geburtenrückgang.
 
Mitte der 60er-Jahre setzte in West- und Nordeuropa ein erneuter Rückgang der Geburtenrate und der absoluten Geburtenzahl ein, der mittlerweile alle Industrieländer betrifft. Das Charakteristische dieses Geburtenrückgangs ist das deutliche Unterschreiten des Bestandserhaltungsniveaus der Fertilität (Fruchtbarkeit; etwa 2,1 Geburten je Frau). Soll die Elterngeneration gerade ersetzt werden, dürfte es keine freiwillige Kinderlosigkeit geben, und fast die Hälfte der Paare müssten sich für drei Kinder entscheiden. Tatsächlich ist das generative Verhalten aber geprägt von der »Zwei-Kinder-Norm«, der »Ein-Kind-Familie« und gewollter Kinderlosigkeit. Die Bevölkerungswissenschaftler sind sich einig, dass es keine monokausale Erklärung (etwa die »Pille«) für den Geburtenrückgang gibt. Im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung sind zahlreiche ökonomische Gründe für eine hohe Kinderzahl (Arbeitsmarktbedarf, Alterssicherung für die Eltern) weggefallen. Die Ziele beruflicher Verwirklichung und verantwortungsvolle Elternschaft geraten miteinander in Konflikt, nicht zuletzt, weil die Möglichkeiten außerfamiliärer Kinderbetreuung als unzureichend angesehen werden. Die modernen Methoden der Familienplanung ermöglichen die Wahrnehmung des persönlichen Rechts, über Zahl der Kinder und Zeitpunkt der Geburt frei zu entscheiden. Diese Trends werden durch die biographische Theorie der Fertilität in einen interdisziplinären Erklärungsansatz integriert (biographischer Ansatz von H. Birg). Bevölkerungspolitische Maßnahmen (z. B. leichtere Vereinbarkeit von Beruf und Kindererziehung), die die Geburtenzahlen erhöhen sollen (z. B. in Frankreich, in der DDR), können zwar die grundsätzliche Entscheidung für eigene Kinder beeinflussen, haben jedoch in der Regel keine großen Auswirkungen hinsichtlich der Zahl der gewünschten Kinder. In den Entwicklungsländern haben sich bevölkerungspolitisch begründete Maßnahmen wie die Hebung des Status der Frau, höhere Bildung, bessere Möglichkeiten der außerhäuslichen Erwerbstätigkeit und leichtere Inanspruchnahme der Familienplanung für einen Rückgang der Geburtenrate als förderlich erwiesen.
 
1965 wurden im Bundesgebiet 1,044 Mio. Kinder (2,5 Geburten je Frau) geboren, 1986 waren es 626 000 Geburten (1,35 je Frau; jeweils einschließlich Ausländer). Der Geburtenrückgang erfolgte in zwei Stufen: Bis 1972 nahm die durchschnittliche Zahl der Geburten in bestehenden Ehen rasch ab, während die Eheschließungen noch zunahmen; dann nahm die Zahl der Verheiratungen ab, bei gleichzeitiger Stabilisierung der Geburtenzahl je Ehe. Parallel zur deutschen Wiedervereinigung vollzog sich ein dramatischer Rückgang der Geburtenrate. Die Fertilität betrug 1992 1,29 Kinder je Frau (alte Bundesländer 1,40, neue Bundesländer 0,83 Kinder je Frau).
 
In den genannten Jahren sank die Geburtenzahl in Österreich von 134 000 auf 87 000, je Frau von 2,8 auf 1,45, in der Schweiz von 113 000 auf 75 000 beziehungsweise von 2,5 auf 1,5. In der früheren DDR ist die Geburtenzahl nach einem kurzfristigen bevölkerungspolitisch bedingten Anstieg von 292 000 auf (1985) 228 000 oder von 2,4 auf 1,74 je Frau gesunken. Die absolute Geburtenzahl betrug 1992 in Deutschland 802 114, in den alten Bundesländern waren es 720 794, in den neuen Ländern 88 320.
 
Literatur:
 
G., Risiko oder Chance, hg. v. R. Silkenbeumer (1979);
 
G., besorgniserregend oder begrüßenswert?, hg. v. R. Olechowski (Wien 1980);
 K. Schwarz u. C. Höhn: Weniger Kinder - weniger Ehen - weniger Zukunft? (1985);
 H. Birg: Der Bevölkerungsrückgang in der Bundesrepublik Dtl. (1987);
 H. Birg: Biograph. Theorie der demograph. Reproduktion (1991).

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Ge|bur|ten|rück|gang, der: Rückgang der Geburtenzahl.

Universal-Lexikon. 2012.