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Jeanne d'Arc
Jehanne la Pucelle; Jungfrau von Orléans; Johanna von Orléans

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I
Jeanne d'Arc
 
Im Hundertjährigen Krieg zwischen England und Frankreich um die französische Krone war der Dauphin, der französische Thronerbe Karl (1422-51), zunächst auf die Gebiete südlich der Loire beschränkt. Im Norden herrschten die Engländer, die mit den Burgundern verbündet waren. 1429 trat mit Jeanne d'Arc (der »Jungfrau von Orléans«) ein 17-jähriges Bauernmädchen aus dem Dorf Domrémy-la-Pucelle in Lothringen auf, das entscheidend zur Veränderung der Situation beitrug. Über ihren Lebensweg sind wir durch die Akten zu ihrem Prozess genau unterrichtet.
 
In einer Zeit, in der Frankreich von Prophezeiungen und Weissagungen erfüllt war, behauptete sie, dass sie »Stimmen« gehört habe und ihr Heilige erschienen seien, die sie beauftragt hätten, zum Dauphin zu gehen, gegen die Engländer zu ziehen, deren Belagerung von Orléans aufzuheben und den Dauphin zur Salbung und Krönung nach Reims zu führen.
 
Nach einigen Prüfungen wurde sie vom Dauphin als eine von Gott gesandte Botin akzeptiert. In eine weiße Rüstung gekleidet, mit einem Banner versehen, führte sie die französischen Truppen nach Orléans. Die Engländer gaben die Belagerung der Stadt nach kurzer Zeit tatsächlich auf. Die Städte an der Loire wurden von den Franzosen eingenommen. Noch im gleichen Jahr führte Jeanne den Dauphin nach Reims, wo er als Karl VII. gekrönt wurde. Jeanne erfüllte zweierlei Aufgaben: Zum einen ermutigte sie die französischen Truppen, zum anderen stärkte sie die Legitimität des französischen Dauphins gegen seinen englischen Konkurrenten um die Krone Frankreichs.
 
Jeanne drängte den König, gegen das von den Engländern gehaltene Paris zu marschieren. Der König aber wollte den Kampf nicht fortsetzen und suchte Verhandlungen mit den Burgundern. Jeanne bemühte sich, den zögernden König zu einer Fortsetzung des Krieges zu bewegen. In Kampfhandlungen bei Compiègne wurde sie von den Burgundern gefangen genommen, die sie an die Engländer verkauften. Nach kurzer, harter Gefangenschaft wurde ihr in Rouen von einem kirchlichen Gericht der Prozess wegen Zauberei und Ketzerei gemacht; 1431 wurde sie auf dem Scheiterhaufen hingerichtet. Ungeklärt ist bis heute, warum Karl VII. keinerlei Anstrengungen unternahm, um sie zu befreien. Jeanne d'Arc wurde schon sehr bald zum Sinnbild der Einheit Frankreichs. 1920 wurde sie heilig gesprochen.
 
II
Jeanne d'Arc
 
[ʒan'dark], Johạnna von Orléans [-ɔrle'ã], Selbstbenennung Jeanne la Pucelle [-py'sɛl], daher Jungfrau von Orléans, französische Nationalheldin, * Domrémy-la-Pucelle zwischen 1410 und 1412, ✝ Rouen 30. 5. 1431; Tochter wohlhabender Landleute, fühlte sich durch »Stimmen« berufen, den Dauphin (Karl VII.) nach Reims zur Krönung zu führen und Frankreich von den Engländern zu befreien (Hundertjähriger Krieg). Am 25. 2. 1429 wurde sie von Karl im Schloss Chinon empfangen; sie überzeugte ihn von ihrer Sendung und erhielt die Erlaubnis, in Männerkleidung und bewaffnet das französische Heer zu begleiten, dem durch ihren Einfluss die Aufhebung der englischen Belagerung von Orléans gelang (8. 5. 1429, die entscheidende Wendung des Krieges gegen England. Nach dem glänzenden Sieg bei Patay (18. 6.) kam es zur Krönung Karls in Reims (17. 7.). In den weiteren Kämpfen hatte Jeanne d'Arc weniger Erfolg; sie stieß auch auf den wachsenden Widerstand einer Friedenspartei am königlichen Hof. Am 23. 5. 1430 geriet sie bei Compiègne in die Gefangenschaft der Burgunder, die mit den Engländern verbündet waren und sie diesen auslieferten. Der französische Hof tat nichts für sie. Sie wurde nach Rouen gebracht, von einem geistlichen Gericht unter der Leitung des Bischofs von Beauvais, Pierre Cauchon, als Zauberin und Ketzerin zunächst zu lebenslänglicher Haft verurteilt, dann nach Rücknahme des ihr abgepressten Widerrufs ihrer Sendung einem weltlichen Gericht ausgeliefert und als rückfällige Ketzerin auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Die Zeitgenossen verehrten sie bereits als Heldin, ihre Verurteilung wurde 1456 kirchlich aufgehoben. 1909 wurde sie selig, 1920 heilig gesprochen (Tag: 30. 5.) und zur zweiten Patronin Frankreichs erklärt.
 
Literarische Behandlung:
 
Das Leben der Jeanne d'Arc wurde wegen der menschlichen, politischen und religiösen Problematik zu einem Stoff der Weltliteratur, der durch religiöse Verehrung (J. Chapelain, »La Pucelle, ou La France délivrée«, 1656, letzte 12 Gesänge, herausgegeben 1882 unter dem Titel »Les douze derniers chants du poème de la Pucelle«), antiklerikale Kritik (Voltaire, »La pucelle d'Orléans«, 1755, Epos) und romantische Glorifizierung (Schiller, »Jungfrau von Orleans«, 1801, Drama) bestimmt ist. Trägerin der französischen Nationalidee wurde Jeanne d'Arc erst im 19. Jahrhundert (C. Delavigne, »Trois Messéniennes«, 1818, Gedichte; T. de Banville, »La bonne Lorraine«, 1872, Gedicht). In den Dramen von G. Kaiser (»Gilles und Jeanne«, 1923), G. B. Shaw (»Saint Joan«, 1923) und P. Claudel (»Jeanne au bûcher«, 1939) und in Anna Seghers' Hörspiel »Der Prozeß der Jeanne d'Arc zu Rouen 1431« (1937) steht der Prozess (Veröffentlichung der Prozessakten 1841), weniger die kriegerische Laufbahn im Vordergrund. Neuere dramatische Werke problematisieren Phänomene des Nationalismus und der Gewalt (M. Anderson, »Joan of Lorraine«, 1946; J. Anouilh, »L'alouette«, 1953; B. Brecht, »Die Gesichte der Simone Machard«, herausgegeben 1958).
 
Literatur:
 
I. Raknem: Joan of Arc in history, legend and literature (Oslo 1971);
 C. J. Abegg: Die Fackel Gottes. Johanna von Orléans, 1412-1431 (21976);
 R. Pernoud: J. d'A. (Neuausg. Paris 1981);
 E. Lucie-Smith: Johanna von Orléans (a. d. Engl., Neuausg. 1983);
 G. u. A. Duby: Die Prozesse der J. d'A. (a. d. Frz., 1985);
 H. Nette: J. d'A. (17.-19. Tsd. 1985);
 G. Krumeich: J. d'A. in der Gesch. Historiographie, Politik, Kultur (1989).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
 
Hundertjähriger Krieg und burgundische Großmacht: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte
 

Universal-Lexikon. 2012.