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Vaganten
Vagạnten
 
[v-; lateinisch vagantes »Umherziehende«], im Mittelalter Bezeichnung für Studenten und Studierte, die von einem Lehrer zum andern oder auf der Suche nach kirchlichen und weltlichen Ämtern in weiten Teilen Europas umherzogen. Im 12. und 13. Jahrhundert strömten zunehmend Studenten in die Gelehrtenschulen und Universitäten; gleichzeitig nahm die Zahl freier Pfarrstellen und Pfründen durch Ämterhäufung und Besetzung mit Mönchen (Zisterziensern, Dominikanern) ab. Diese allgemeine soziale Entwicklung ließ, ebenso wie individuelle Auflehnung gegen moralisch-kirchliche Zwänge (z. B. Zölibat), Verfolgung nonkonformistischer und häretischer Lehrmeinungen (z. B. Abaelardus), auch Freiheitsdrang und Aussteigertum, ein akademisches Proletariat meist stellenloser Geistlicher entstehen, die von Gelegenheitsaufträgen (wie Dichtung, Musik), von Unterhaltungskünsten (wie Spielleute und Gaukler) oder vom Betteln leben mussten. Mit satirischen Versen kritisierten daher gebildete Vaganten kirchliche Missstände und bezeichneten die kirchlichen Amtsträger u. a. als »Golias« (nach dem biblischen Goliath, der dem Mittelalter als Teufel galt); zugleich bekannten sie sich mit selbstbewusster Ironie zum »Orden der Vaganten« und ihrem Oberhaupt »Bischof Golias«. Die Kirche ihrerseits diffamierte die Vaganten als Goliarden, d. h. als Teufelsbrüder (die nach zeitgenössischer Aussage nur dem »Fressen« und »Saufen« frönten; nach lateinisch goliardus »Schlemmer«, von lateinisch gula »Kehle«), und bekämpfte sie im 13. Jahrhundert z. B. durch Verbote des Vagantentums.
 
In der Vaganten-Dichtung kommen Lebensfreude und Diesseitsstimmung zum Ausdruck. In metrischen, häufiger rhythmischen lateinischen Versen (typisch die vierzeilige endgereimte »Vaganten-Strophe«) wurden, meist vor gebildetem Publikum und oft in bittender Absicht, Natur, Frühling, Liebesglück und -leid, auch eigene Nöte besungen, über den besten Liebhaber (Kleriker oder Ritter?) gestritten und mit Witz und Parodie die Verderbtheit von Klerus und Mönchtum gegeißelt. Unter den namentlich bekannten Autoren ragen im 12. Jahrhundert Hugo von Orléans, der Archipoeta und Walter von Châtillon als Dichterfürsten hervor. Die meisten Lieder aber sind anonym in späteren Sammlungen, z. B. Carmina Burana (13. Jahrhundert), überliefert, häufig in »zersungener« Fassung; ein Zeugnis ihres Fortlebens ist das Studentenlied.
 
Literatur:
 
Goliards in: Dictionary of the Middle Ages, hg. v. J. R. Strayer, Bd. 5 (New York 1985);
 V., in: Lex. für Theologie u. Kirche, hg. v. J. Höfer, Bd. 10 (Neuausg. 1986).
 

Universal-Lexikon. 2012.