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Pygmäen
Pygmäen
 
[zu griechisch pygmaĩos »eine Faust lang«], kleinwüchsige Menschen in den äquatorialen Regenwäldern Afrikas, von Kamerun im Westen bis zu den ostafrikanischen Seen, etwa 150 000 Menschen. Die mittlere Körperhöhe liegt bei den Ostpygmäen bei 137 cm (Frauen) und 145 cm (Männer), sie ist bei den Westpygmäen mit 144 cm (Frauen) und 154 cm (Männer) etwas höher.
 
Die Pygmäen haben generell eine kupfergetönte Hautfarbe; es gibt aber auch vereinzelt den sehr hellen, gelblichen Typus. Morphologisch charakteristisch sind ein verhältnismäßig langer Rumpf, lange Arme, aber kurze Beine, eine flache, breite Trichternase mit stark gewölbten Nasenflügeln, ein breiter Mund mit schmalen, fein geschnittenen europiden Lippen und eine ebenfalls europide Ohrform. Die Pygmäen haben stark entwickelte Rücken-Lenden-Muskeln, eine betonte Lendenlordose mit - besonders bei Frauen - leichtem Fettsteiß. Das krause Kopfhaar wächst pfefferkornartig in kleinen Büscheln wie bei den Buschleuten, Hadza (Volk in Tansania) und Andamanern. Ferner haben die Pygmäen häufig kräftigen Bartwuchs und starke Körperbehaarung. Der mittelbreite Schädel und das Körperskelett zeigen spezifisch archaische Merkmale und zeichnen die Pygmäen eindeutig als eigenständige Menschengruppe aus (durch die Blutgruppenmerkmale bestätigt).
 
Die volle körperlich-geistige Leistungsfähigkeit und hochgradige Anpassung an ihren Lebensbereich (ökologische Nische) widerlegen die Auffassung, die Pygmäen seien in Mangelgebieten entstandene Kümmerformen oder Pädomorphe, d. h. im Körperbau auf kindlichem Entwicklungsstand zurückgeblieben. Ihre Kleinwüchsigkeit ist vom krankhaften (chondrodystrophen) Zwergwuchs zu unterscheiden.
 
Die Ostpygmäen im Gebiet des Ituri (Nordosten der Demokratischen Republik Kongo ), auch als Mbuti (Bambuti) bezeichnet, bilden mit Aka, Efe und Sua drei Gruppen mit unterschiedlichen kulturellen Eigenheiten. Die Westpygmäen teilen sich auf in Baka (Gabun und Südkamerun) und Bayaka (Nord-Kongo und Zentralafrikanische Republik). Weitere Pygmäen finden sich als weit versprengte Restgruppen, die teilweise genetisch mit Großwüchsigen vermischt sind, in der Demokratischen Republik Kongo, in Angola, Ruanda, Burundi und Uganda unter den Sammelbezeichnungen Twa und Bachwa. Die für die Pygmäen zahlreichen überlieferten Bezeichnungen wie Bakola, Babenzele, Bagielli sind meist von den Bantu gebrauchte abwertende Namen, während Babinga eine Verballhornung des Bantuwortes BaMbenga (Lanzenträger) ist.
 
Die Pygmäen leben auf paläolitischer Kulturstufe; sie durchstreifen als Sammler und Jäger im Rhythmus des jahreszeitlichen Nahrungsangebotes ein weites Gebiet. Die angenommene klassische Arbeitsteilung zwischen Frauen (Sammeln) und Männern (Jagen) hat nur relative Gültigkeit, da auch Männer sammeln und alle Frauen und Kinder sich an den großen Netzjagden beteiligen. Die Pygmäen haben nur essenziellen Besitz wie Pfeil und Bogen, Armbrust, Speer, Axt, Grabstock, Stirnbandtragekorb. Sie tragen Lendenschurz und Baströckchen als Kleidung.
 
Die Pygmäen bilden eine ausgeprägt egalitäre Gesellschaft mit einem nur temporären »Primus inter Pares« und leben in offenen, flexiblen Wohngemeinschaften von nie mehr als 30 Personen. Die (jeweils nur für sechs bis acht Wochen angelegten) Waldlager bestehen aus kreisförmig angeordneten, einfachen Bienenkorbhütten. Die meisten Pygmäen leben monogam. Hochgottglaube ist mit Geister- und Ahnenglauben verknüpft, jedoch wohl durch die jeweiligen (großwüchsigen) Nachbarn beeinflusst.
 
Die Existenz der Pygmäen ist durch fortschreitende Einengung ihres Lebensraumes unmittelbar bedroht. Die Vernichtung großer Regenwaldgebiete durch Abholzung und Brandrodung schafft veränderte ökologische Verhältnisse, denen sich die Pygmäen nur schwer anzupassen vermögen, denn sie leiden unter Licht und Sonne, Hitze und Staub. Unterdrückung, Diskriminierung und Versklavung der Pygmäen durch die Großwüchsigen sind heute vielfach an die Stelle der symbiotischen Lebensformen getreten. Folge des Sesshaftwerdens sind Infektionskrankheiten wie Syphilis, Frambösie, Hepatitis und Tuberkulose.
 
Die Sprachen der Pygmäen gehören teils zu den Niger-Kongo-Sprachen, teils zu den nilosaharanischen Sprachen. Die Hypothese einer ursprünglich eigenen Sprache der Ost- und Westpygmäen wird nach jüngsten Forschungsergebnissen wieder aufgenommen.
 
Literatur:
 
P. Schebesta: Die P.-Völker der Erde, Reihe 1, 4 Tle. (Brüssel 1938-50),
 
Reihe 2, 3 Tle. (Mödling 1952-57);
 M. Gusinde: Die Kongo-P. in Gesch. u. Gegenwart (1942);
 M. Gusinde: Die Twiden (1956);
 S. Seitz: Die zentralafrikan. Wildbeuterkulturen (1977);
 
Pygmées de Centrafrique, hg. v. S. Bahuchet (Paris 1979);
 
Encyclopédie des pygmées Aka, hg. v. J. M. Thomas, 2 Bde. (ebd. 1981-83);
 A. Heymer: Die P. Menschenforschung im afrikan. Regenwald (1995).
 

Universal-Lexikon. 2012.