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Plotin
Plotin,
 
griechisch Plotinos, griechischer Philosoph, * Lykonpolis (heute Assiut) um 205, ✝ Minturnae (Kampanien) 270; studierte in Alexandria unter Ammonios Sakkas und trat in seinem 40. Lebensjahr in Rom als Lehrer der Philosophie auf. Sein Leben ist von seinem Schüler Porphyrios von Tyros beschrieben worden. Dieser ordnete auch seine 54 Schulvorträge in sechs Enneaden (Gruppen von je neun Abhandlungen). Plotins Philosophie ist eine selbstständige Erweiterung der platonischen Philosophie, in die aristotelische, stoische und gnostische Gedanken aufgenommen sind. In ihr wird die Weltordnung als ein dynamischer Stufenbau dargestellt, in dem das Eine, der Geist (Weltvernunft) und die Seele die drei Hypostasen (Seinsstufen) der vollkommenen Wirklichkeit bilden. Alles Seiende geht durch Emanation aus dem Einen wie aus der Licht ausstrahlenden Sonne hervor; das Eine steht als erste (und höchste) Hypostase noch über der Weltvernunft. Diese als der Ort der Ideen und zweite Hypostase und die Weltseele als die dritte Hypostase bilden mit dem Einen die vollkommene Wirklichkeit. Darunter beginnt das Niedere und Schlechte, das dadurch ist, dass sich das vom Einen Ausstrahlende gleichsam im Nichtseienden, der Materie, spiegelt. Die dadurch entstehende Körperwelt ist die vierte und die Materie die fünfte Hypostase. Die Emanation bedeutet keine Minderung des Einen, sodass auch die Hypostasen das Eine nicht zerreißen, sondern es selbst, nur auf andere Weise, immer noch sind. Im Rahmen dieser fünfstufigen Welt bewegt sich die Einzelseele, die, in die Körperwelt gefallen, vor der Entscheidung steht, der Körperlichkeit und dem Schlechten zu verfallen oder sich zurückzuwenden (griechisch »epistrophe«) und nach oben bis zum Einen aufzusteigen. Die höchste Form des Aufstiegs ist die Ekstase, in der das Einzelne sich im Einen verliert und sich so, aus der Entfremdung heimkehrend, in seinem eigentlichen Selbst wieder findet.
 
Plotin hat die Metaphysik, Psychologie, Ästhetik, Religionsphilosophie und Theologie der ihm nachfolgenden Zeit stark beeinflusst, oft jedoch nur mittelbar über den von ihm geformten Neuplatonismus. Sein Fortwirken ist bei den Kirchenvätern (etwa Augustinus) spürbar. Plotins Lehre vom Einen nahm maßgeblichen Einfluss auf die scholastische Ontologie. M. Ficino vollendete 1486 die Übersetzung der »Enneaden« ins Lateinische. Damit setzten wiederum meist anonyme Nachwirkungen Plotins ein, die sich v. a. auf Italien und England, weniger auf Deutschland erstreckten. Zum Ende des 18. Jahrhunderts beginnt die wissenschaftliche Erforschung Plotins durch niederländische und englische Philologen, schon vorher wird der Einfluss der Philosophie Plotins in Deutschland sichtbar: zunächst bei J. G. Herder, F. H. Jacobi, F. Hemsterhuis und dem Philosophiehistoriker Dietrich Tiedemann (* 1748, ✝ 1803), später bei Goethe, Novalis, F. W. J. Schelling und G. W. F. Hegel, in der neueren Zeit bei E. von Hartmann.
 
Ausgaben: Schriften, herausgegeben von R. Harder u. a., 12 Teile (1956-71); Ennéades, herausgegeben und übersetzt von É. Bréhier, 7 Teile (Neuausgabe 1960-67, griechisch und französisch); Opera, herausgegeben von P. Henry und anderen, 3 Bände (1964-82, Band 1 und 3, Nachdruck 1987); Opera, übersetzt von A. H. Armstrong, 7 Bände (1966-88, griechisch und englisch).
 
Literatur:
 
K. H. Kirchner: Die Philosophie des P. (1854, Nachdr. 1978);
 E. Früchtel: Weltentwurf u. Logos. Zur Metaphysik P.s (1970);
 V. Schubert: P. (1973);
 K. Wurm: Substanz u. Qualität (1973);
 H. Benz: »Materie« u. Wahrnehmung in der Philosophie P.s (1990);
 G. Siegmann: P.s Philosophie des Guten (1990);
 C. Horn: P. über Sein, Zahl u. Einheit (1995);
 S. Möbuß: P. zur Einführung (2000);
 W. Beierwaltes: Das wahre Selbst. Studien zu P.s Begriff des Geistes u. des Einen (2001).

Universal-Lexikon. 2012.