Keynes
[keɪnz], John Maynard, Lord Keynes of Tilton [tɪltn] (seit 1942), britischer Volkswirtschaftler, Publizist, Diplomat, * Cambridge 5. 6. 1883, ✝ Firle (County East Sussex) 21. 4. 1946; trat 1915 als Berater in das britische Schatzamt ein und leitete dessen Delegation auf der Friedenskonferenz von Versailles. 1919 trat Keynes von dieser Position zurück, da er die alliierten Reparationsforderungen für volkswirtschaftlich nicht vertretbar hielt (»The economic consequences of the peace«, 1920; deutsch »Die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages«); er forderte eine Revision des Versailler Vertrags (»A revision of the treaty«, 1922; deutsch »Revision des Friedensvertrages«). 1920-46 war Keynes Professor am King's College in Cambridge, gleichzeitig Publizist (u. a. 1911-45 Herausgeber des »Economic Journal« und 1913-45 Schriftführer der »Royal Economic Society«), Finanzfachmann (1921-38 Vorsitzender u. a. der »National Mutual Life Assurance Co.«) und Wirtschaftspolitiker. Als Berater des Schatzamtes während des Zweiten Weltkriegs erarbeitete Keynes u. a. Pläne für die Kriegsfinanzierung durch Zwangssparen (»How to pay for the war«, 1940), für die Durchführung eines Pacht-Leih-Abkommens und v. a. für eine neue internationale Währungsordnung (Keynes-Plan; »Proposals for an International Clearing Union«, 1943). Seine Vorschläge wurden jedoch von der amerikanischen Regierung abgelehnt (Konferenzen von Bretton Woods und Savannah, die zur Errichtung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank führten).
Keynes galt bis Anfang der 70er-Jahre als der führende Theoretiker einer modernen Volkswirtschaftslehre, die er auf eine neue Grundlage stellte (v. a. in »The general theory of employment, interest and money«, 1936; deutsch »Die allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes«). Ausgehend von der Frage nach der Höhe der Beschäftigung, die von der effektiven Nachfrage abhängt, gelangte er zur Frage nach der Höhe des Volkseinkommens. Als Bestimmungsgrößen des Volkseinkommens erkannte er die Konsum- und die Sparneigung (»Hang zum Verbrauch oder Sparen«, abhängig vom Einkommen) und die Investitionsneigung (»Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals«, abhängig von der Rentabilität der Investition). Die Investitionen werden durch die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals und durch den Zins bestimmt, wobei der Zins eine Funktion der Geldmenge sowie der Liquiditätspräferenz ist. Die Auswirkungen einer Änderung der Nettoinvestition auf das Volkseinkommen errechnet Keynes durch den Multiplikator (Theorie des Investitionsmultiplikators). Keynes distanzierte sich von der Auffassung der klassischen Nationalökonomie, wonach das sich bei freier Konkurrenz einspielende Preis-, Lohn- und Zinsniveau automatisch zur Vollbeschäftigung führe (»The end of laissez-faire«, 1926; deutsch »Das Ende des laissez-faire«) und wies nach, dass diese Theorie nur den Sonderfall der Entstehung und Verteilung des Volkseinkommens bei Vollbeschäftigung behandelte.
Keynes fand für seine beschäftigungs- und geldtheoretischen Auffassungen zahlreiche Anhänger. Die heutige Volkswirtschaftslehre hat sein Kreislaufmodell übernommen und weiterentwickelt; seine Erkenntnisse haben in die Wirtschaftspolitik vieler westlicher Länder Eingang gefunden (Keynesianismus).
Weitere Werke: A treatise on probability (1921); A treatise on money, 2 Bände (1930; deutsch Vom Gelde).
Ausgaben: Politik und Wirtschaft. Männer und Probleme. Ausgewählte Abhandlungen, übersetzt von E. Rosenbaum (1956); The collected writings, 30 Bände (1971-89, teilweise Nachdruck); Critical assessments, herausgegeben von J. C. Wood, 8 Bände (1993-94, teilweise Nachdruck).
K., Cambridge, and the General Theory, hg. v. D. Patinkin u. a. (London 1977, Nachdr. ebd. 1979);
D. Patinkin: Die Geldlehre von J. M. K. (a. d. Engl., 1979);
D. Dillard: The economics of J. M. K. (Englewood Cliffs, N. J., 1948, Nachdr. Westport, Conn., 1983);
C. H. Hession: J. M. K. (a. d. Engl., 1986);
H. Scherf: Marx u. K. (1986);
H. P. Minsky: J. M. K. Finanzierungsprozesse, Investition u. Instabilität des Kapitalismus (a. d. Engl., 1990);
R. Skidelsky: J. M. K., 2 Bde. (Neuausg. London 1992-94);
Marx u. K. u. die Krise der Neunziger, hg. v. A. Heise u. a. (1994);
D. E. Moggridge: M. K. An economist's biography (Neuausg. London 1995).
Universal-Lexikon. 2012.