Bethmann Họllweg,
1) Moritz August von (seit 1840), Jurist und Politiker, * Frankfurt am Main 8. 4. 1795, ✝ Burg Rheineck (bei Andernach) 14. 7. 1877, Großvater von 2); wurde 1823 Professor in Berlin, 1829 in Bonn, gehörte der historischen Rechtsschule F. C. von Savignys an. Bethmann Hollweg war vertrauter Berater Friedrich Wilhelms IV., gehörte zunächst der äußersten Rechten an, gründete jedoch gegen die hochkonservative »Kreuzzeitungspartei« 1851 die liberalkonservative »Wochenblattpartei«, die für den neuen Konstitutionalismus und im Krimkrieg für die Sache der Westmächte eintrat. 1858-62 war er preußischer Kultusminister.
Reinhold Müller: Die Partei B.-H. u. die oriental. Krise 1853-1856 (1926);
F. Fischer: M. A. von B.-H. u. der Protestantismus (1938, Nachdr. Vaduz 1965).
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Weltkrieg, Erster: Die politische Dimension des Krieges
2) Theobald von, Politiker, * Hohenfinow (bei Eberswalde) 29. 11. 1856, ✝ ebenda 2. 1. 1921, Enkel von 1); seit 1899 Oberpräsident der Provinz Brandenburg, 1905 preußischer Innenminister, 1907 Staatssekretär im Reichsamt des Innern. Auf Empfehlung des im Juni 1909 zurückgetretenen Reichskanzlers B. von Bülow wurde Bethmann Hollweg am 14. 7. 1909 zum Reichskanzler und preußischen Ministerpräsidenten ernannt. Im Reichstag ohne festen Rückhalt, war er gezwungen, für einzelne Entscheidungen jeweils eine ausreichende Mehrheit bei den verschiedenen Fraktionen zu suchen. Er schloss die Reichsfinanzreform provisorisch ab, dagegen scheiterte 1910 sein Versuch einer Wahlrechtsreform in Preußen am Widerstand der Konservativen. Innen- und sozialpolitisch strebte er eine freiheitliche Fortentwicklung des alten Obrigkeitsstaates an und versuchte die sozialdemokratische Arbeiterschaft für den Staat zu gewinnen. 1911 konnte Bethmann Hollweg die Reichsversicherungsordnung und ein Reichsvereinsgesetz durchsetzen sowie die Reform der elsass-lothringischen Verfassung im Sinne größerer Selbstständigkeit erreichen. Außenpolitisch um Verständigung mit Großbritannien bemüht, gelang es ihm infolge der von ihm geduldeten Marokkopolitik des Staatssekretärs A. von Kiderlen-Wächter (1911 spektakuläre Entsendung des Kanonenboots »Panther« nach Agadir; 2. Marokkokrise) und des Widerstandes des Großadmirals A. von Tirpitz nur in Ansätzen, das deutsch-britische Flottenwettrüsten zu beenden (Flottenabkommen 1912). Der Ausbruch der Balkankriege 1912/13 gab ihm Gelegenheit, durch vermittelnden und besonders die Wiener Politik zügelnden Einfluss die Beziehungen zu Großbritannien zu verbessern und auf dem Wege über koloniale Abmachungen (Bagdadbahn und Kolonialabkommen 1914) einen Ausgleich im Großen anzustreben.
Nach der Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers in Sarajewo (28. 6. 1914 riet Bethmann Hollweg der österreichisch-ungarischen Regierung zu raschem Handeln gegen Serbien und hoffte, durch einen militärischen Erfolg Österreich-Ungarns in einem auf Serbien beschränkten Krieg die Position der Mittelmächte gegenüber der Entente verbessern zu können. Die Entscheidung zum Krieg nach Beginn der russischen Mobilmachung (29./30. 7. 1914) fasste er als schicksalhafte Notwendigkeit zur Behauptung der deutschen Großmachtstellung auf.
Nach Ausbruch des Krieges geriet er auch außenpolitisch unter den wachsenden Druck der Alldeutschen und Rechtsparteien, deren annexionistische Kriegszielforderungen er nicht teilte. Das Kriegszielprogramm vom September 1914, das von seinem Mitarbeiter K. Riezler stammte, betrachtete er als nicht bindend. Spätestens ab November 1914 suchte er eine Festlegung von Kriegszielen zu umgehen, um sich den notwendigen Spielraum für Separatfriedensschlüsse oder einen Verständigungsfrieden zu sichern.
Die seit der Umbesetzung vom Sommer 1916 zunehmend politisch handelnde militärische Führung (OHL) unter P. von Hindenburg und E. Ludendorff sowie die damit verbundene sich verstärkende nationalistische Haltung der Rechten im Reichstag schränkten den Handlungsspielraum Bethmann Hollwegs trotz seiner »Politik der Diagonale« zwischen Rechts und Links stark ein. Er musste im Oktober 1916 die öffentliche Kriegszieldiskussion freigeben und in die jeden Sonderfrieden mit Russland ausschließende Proklamation (5. 11. 1916 eines Königreichs Polen (polnische Frage) einwilligen.
Wegen seines Widerstandes gegen den uneingeschränkten U-Boot-Krieg und wegen des Friedensangebots der Mittelmächte vom 12. 12. 1916 (verbunden mit einer vom amerikanischen Präsidenten W. Wilson erwarteten Vermittlungsaktion) kam es zum Konflikt mit der OHL. In der U-Boot-Frage gab Bethmann Hollweg Anfang Januar 1917 dem Druck der Militärs nach, obwohl er wusste, dass dies den Kriegseintritt der USA auslösen musste. Unnachgiebig blieb er in dem Ziel der inneren Neuorientierung, der Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts in Preußen zugunsten des allgemeinen gleichen Wahlrechts. Die kaiserliche Osterbotschaft von 1917, die diese Wahlreform ankündigte, stellte einen letzten Teilerfolg Bethmann Hollwegs dar. Ein Zusammenspiel von OHL und Reichstag bewirkte am 13. 7. 1917 seinen Sturz.
Ausgabe: T. von Bethmann Hollweg. Betrachtungen zum Weltkriege, 2 Bände (1912-22).
A. Hillgruber: Riezlers Theorie des kalkulierten Risikos u. B. H.s polit. Konzeption in der Julikrise 1914, in: Histor. Ztschr., Bd. 202 (1966), 333 ff.;
G. Wollstein: T. v. B. H. Letzter Erbe Bismarcks, erstes Opfer der Dolchstoßlegende (1995).
Universal-Lexikon. 2012.