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Literaturnobelpreis 1990: Octavio Paz
Literaturnobelpreis 1990: Octavio Paz
 
Der mexikanische Lyriker und Essayist erhielt den Nobelpreis für »seine leidenschaftliche, von sinnlicher Intelligenz und humanistischer Integrität geprägte Dichtung«.
 
 Biografie
 
Octavio Paz, * Mexiko, 31. 3. 1914, ✝ Mexiko 19.4.1998; Dichter und Essayist, nach Abbruch seines Studiums 1937 Gründung einer Schule für Indios, 1943-45 USA-Reise, 1946-68 diplomatischer Dienst Mexikos unter anderem in Frankreich, Japan und Indien; mehrere Auszeichnungen auch 1984 Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Octavio Paz wurde 1914 in Mexico-City geboren und wuchs in einer Familie auf, die stark von den Einflüssen des mexikanischen Landreformers indianischer Herkunft, Emiliano Zapata, geprägt war. Dieses Umfeld hatte entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung seines Weltbilds.
 
 Erste Werke
 
Bereits im Alter von 17 Jahren gründete Paz eine avantgardistische Zeitschrift und begann, die großen iberoamerikanischen Dichter, aber auch Nietzsche und Marx, zu lesen. Zwei Jahre später schrieb er seine ersten Gedichte und veröffentlichte sein Buch »Luna Silvestre« (spanisch; Wilder Mond). 1937 zog er nach Yucatán, um eine Sekundarschule für indianische Arbeiter- und Bauernkinder zu gründen. Bald darauf reiste er zu einem Kongress antifaschistischer Schriftsteller in das vom Bürgerkrieg erschütterte Spanien. Dort lernte er die Intellektuellen Rafael Alberti, Luis Cernuda, César Vallejo, Pablo Neruda (Nobelpreis 1971) und Miguel Hernández kennen, die sich für die Zweite Spanische Republik engagierten. Paz teilte mit ihnen die sozialistische Gesinnung, aber sein Bruch mit dem Stalinismus sollte ihn später von vielen trennen. In Spanien veröffentlichte er »Bajo tu clara sombra y otros poemas sobre España« (spanisch; Unter deinem klaren Schatten und andere Gedichte über Spanien). Zurück in Mexiko gründete er im Jahr 1938 die Zeitschrift »Taller«, die das Auftreten einer neuen Schriftstellergeneration wie auch einer neuen literarischen Sensibilität in seinem Land markierte.
 
 »Das Labyrinth der Einsamkeit« und andere wichtige Werke
 
1943 reiste Octavio Paz mit einem Guggenheim-Stipendium nach San Francisco und verbrachte ein Jahr in den USA, wo er die angelsächsische Poesie entdeckte. Zwei Jahre später trat er in den diplomatischen Dienst Mexikos ein und wurde nach Frankreich entsandt. Hier schrieb er sein bekanntestes Werk »Das Labyrinth der Einsamkeit« (1950) und wirkte aktiv zusammen mit Andre Breton und Benjamin Peret in verschiedenen Aufführungen und Publikationen der Surrealisten mit.
 
In dieser Zeit entfernte sich Paz vom Marxismus, um Schritt für Schritt konservativere Positionen einzunehmen, ohne aber jemals seinen Freiheitssinn zu verlieren. »Das Labyrinth der Einsamkeit« wurde von vielen als eine Art Röntgenaufnahme der Mexikaner angesehen, und insbesondere seine Landsleute, die sich als zurückgebliebene Wesen charakterisiert sahen, verübelten ihm dieses Werk zunächst. Über sie sagte der Poet: »Ihr Gesicht ist eine Maske, ebenso ihr Lachen.« Wie er Jahre später erklärte, schrieb er diesen Essay hauptsächlich, um sich selbst zu beschreiben. Heute betrachten auch Paz' Landsleute dieses Buch als ein großes literarisches Werk, mit dem er ihre Seele berührt hat.
 
Weitere wichtige Bücher aus dieser Epoche sind »Libertad bajo palabra« (spanisch; Freiheit unterm Wort) 1949, mit fast der gesamten Poesie von 1935 bis dahin, sowie »Piedra del sol« (spanisch; Sonnenstein), eines der großen Werke der lateinamerikanischen Moderne. Dieser Text, der analog zum aztekischen Sonnenkalender 584 Zeilen aufweist, betrachtet den Tod, die Zeit und die Liebe in klassischen Elf-Silben-Versen. 1951 erscheint »Adler oder Sonne?«, geschrieben in poetischer Prosa unter surrealistischem Einfluss, und 1956 »Der Bogen und die Leier«, ein poetologischer Essay mit weit ausgreifenden Betrachtungen über das Phänomen der Aufgabe und Wirkung des Dichterischen.
 
1962 wurde Paz zum mexikanischen Botschafter in Indien ernannt. In den Folgejahren erschienen weitere wichtige Bücher: »Cuadrivio« (1965), das vier Essays über den Spanier Luis Cernuda, den Portugiesen Fernando Pessoa, den Mexikaner Ramón López Velarde und den Nicaraguaner Rubén Darío enthält, »Puertas al Campo« (spanisch; Türen zum Land) 1966 und »Corriente alterna« (1967), in denen er seine verschiedenen Interessen an der experimentellen Poesie, der Anthropologie, Japan und Indien, der Kunst Mittelamerikas sowie der Politik zeigt.
 
 Rückzug aus dem diplomatischen Dienst
 
Aus Protest gegen die blutige Auflösung einer Studentenversammlung auf der Plaza de Tlatelolco in Mexico-City während der Olympischen Spiele 1968 quittierte Paz den diplomatischen Dienst. Das Jahr 1969 verbrachte der Dichter anfangs in Frankreich, später in den USA, wo er als Gastprofessor an den Universitäten von Pittsburgh und Austin Vorlesungen über hispanoamerikanische Literatur hielt. Im gleichen Jahr erschien »Ladera del Este« (spanisch; Ostabhang), das seine Erfahrungen in Indien widerspiegelt und sein Langgedicht »Blanco« beinhaltet.
 
Nach Mexiko zurückgekehrt, gründete er 1971 die Zeitschrift »Plural«, in der er jüngeren Schriftstellern die Möglichkeit zu publizieren verschaffte. Im gleichen Jahr veröffentlichte er »El mono gramático« (spanisch; Der grammatische Affe), ein in Prosa geschriebenes Gedicht, in dem er Überlegungen zur Philosophie, Poesie und Liebe verarbeitet. Ein anderes bedeutendes Werk über die Theorie der Poesie ist »Los hijos del limo« (spanisch; Die Kinder des Limettenbaums, 1974), in dem Paz die Überlegungen, die er mit »Der Bogen und die Leier« begonnen hatte, vertieft. »Plural« erschien im Verlag der mexikanischen Tageszeitung »Excelsior«. Als es 1977 zu einem Konflikt zwischen »Excelsior« und der präsidialen Staatsmacht kam, verließ Paz die Zeitschrift und gründete »Vuelta«, die er bis zu seinem Tod leitete.
 
Im Jahr 1982 wurde der hoch angesehene Paz mit dem Cervantes-Literaturpreis, dem wichtigsten Literaturpreis im spanischsprachigen Raum, ausgezeichnet. 1984 erhielt er den Friedenspreis des deutschen Buchhandels, ehe 1990 mit dem Literaturnobelpreis die weltweit angesehenste Auszeichnung folgte.
 
 Die letzten Werke
 
Im Jahr 1993 schrieb Paz eines seiner schönsten Bücher: »Die doppelte Flamme: Liebe und Erotismus«, eine Studie über die leidenschaftliche Liebe. 1995 schließlich erschien sein letztes Buch: »Im Lichte Indiens«.
 
Als Paz 1998 starb, vergaßen ehemalige linksgerichtete Weggefährten die alten Differenzen. Sein Ansehen in jüngeren linken Kreisen illustriert dagegen der Schriftzug auf einem Schild, das bei seinem Begräbnis getragen wurde: »Ja zu deiner Poesie, nein zu deiner Politik!«
 
Paz' Haltung gegenüber dem Staat, der Linken, dem Sozialismus und der Demokratie blieb in seiner Heimat umstritten, die Schönheit seiner Poesie dagegen ist allgemein anerkannt. Und obwohl sie, durch seine bewegte Biografie bedingt, von einer Reihe von Traditionen beinflusst ist, von der spanischen über die französische, die englischsprachige sowie die japanische und die indische, bleibt Paz' Mexikanität, die durch die jahrtausendealten Kulturen der Maya und Azteken geprägt ist, immer präsent.
 
N. Martos-Pilgrim

Universal-Lexikon. 2012.