lẹttische Literatur.
Die reich überlieferte mündliche Volksliteratur, v. a. Märchen und Dainas (Dainos), reicht in frühe Zeiten zurück. Seit Ende des 16. Jahrhunderts entwickelte sich ein lettisches Schrifttum, in dessen Rahmen die lettische Schriftsprache entstand. 1585 erschien in Wilna das erste Buch in lettischer Sprache, eine Übersetzung des katholischen Katechismus von Canisius; 1586 kam in Königsberg eine lettische Übersetzung des Kleinen Katechismus von M. Luther heraus. Es folgten von deutschen Pastoren übersetzte Gesangbücher, Predigtsammlungen u. Ä.; 1685-89 erschien in Riga die erste lettische Übersetzung der gesamten Bibel von E. Glück.
Die ersten, zum größten Teil übersetzten Texte einer Kunstliteratur in lettischer Sprache veröffentlichte 1766 der deutsche Pastor G. F. Stender, jedoch waren solche Versuche bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts noch wenig erfolgreich, da der entsprechende Leserkreis fehlte. Mit den spätromantischen Dichtern Juris Alunāns (* 1832, ✝ 1864), Auseklis (* 1850, ✝ 1879) und Andrejs Pumpurs (* 1841, ✝ 1902), die u. a. auch auf Elemente der lettischen Volksdichtung zurückgriffen, erreichte die lettische Kunstdichtung ein beachtliches Niveau. Der Realismus, eingeleitet durch den Roman »Mērnieku laiki« (1879) der Brüder Reinis Kaudzīte (* 1839, ✝ 1920) und Matīss Kaudzīte (* 1848, ✝ 1926), erlebte im Schaffen des Novellisten und Dramatikers Rudolfs Blaumanis (* 1863, ✝ 1908) einen Höhepunkt. Gleichzeitig entwickelte sich eine symbolistisch orientierte Neuromantik, v. a. in der Lyrik und in den Dramen von Jānis Rainis (* 1856, ✝ 1929) und der Lyrik seiner Frau Aspazija (* 1868, ✝ 1943). Kārlis Skalbe (* 1879, ✝ 1945) und Jānis Akuraters (* 1876, ✝ 1937) zeigten in ihrem Werk eine Weiterentwicklung des Modernismus, besonders in Gedichten und kurzen Prosagattungen. Anna Brigadere (* 1861, ✝ 1933) und Jānis Jaunsudrabiņš (* 1877, ✝ 1962) schufen die Grundlage für eine neorealistische Prosa.
Die Zeit der Eigenstaatlichkeit (1918-40) war durch eine reiche und vielseitige Entwicklung gekennzeichnet. Neben dem patriotischen Lyriker und Erzähler Edvarts Virza (* 1883, ✝ 1940; Romanidylle »Straumēni«, 1933; deutsch »Die Himmelsleiter«) war der Kommunist Vilis Lācis (* 1904, ✝ 1966) mit seinem Roman »Zvejnieka dels« (1933-34; deutsch »Der Fischersohn«) besonders erfolgreich. Bedeutend waren außerdem Jēkabs Janševskis, Pēteris Ērmanis (* 1893, ✝ 1969), Jānis Ezeriņš (* 1891, ✝ 1924), Aīda Niedra (* 1899, ✝ 1973) und Kārlis Zariņš (* 1889, ✝ 1947). In der Lyrik traten u. a. Aleksandrs Čaks (* 1901, ✝ 1950), Jānis Medenis (* 1903, ✝ 1961), Andrejs Eglītis und Veronika Strēlerte hervor.
War die Zahl der lettischen Intellektuellen bereits vor 1941 durch Deportationen in die Sowjetunion dezimiert worden (u. a. fiel ihnen der Erzähler Aleksandrs Grīns, * 1895, ✝ 1941, zum Opfer), so setzte bei der endgültigen Besetzung durch die sowjetische Armee 1944 eine Massenflucht in den Westen ein. Bereits in den deutschen Auffanglagern entstand jedoch eine Literatur von Rang, die in der weiteren Emigration, v. a. in Schweden und in den USA, ihre Fortsetzung fand, so in der Lyrik von Zinaida Lazda, Veronika Strēlerte, Velta Sniķere (* 1920), Velta Toma (* 1912) u. a. In der Prosa wirkten weiter: u. a. Anšlavs Eglītis, Jānis Klīdzejs (* 1914), Zenta Mauriņa.
In der Lettischen SSR kamen zunächst die Schriftsteller Andrejs Upītis, Lācis, Jānis Sudrabkalns (* 1894, ✝ 1975) u. a. zu Wort. In den 1960er-Jahren konnten wichtige Werke der lettischen Literatur entstehen, da die »Tauwetterperiode« nach 1956 größere Freiheiten in Form und Inhalt ermöglichte. Konflikte im persönlichen und gesellschaftlichen Leben wurden wieder behandelt, sogar Erinnerungen an Haft und Verbannung, so von Harijs Heislers (* 1926, ✝ 1985). Die Belebung war besonders in der Lyrik spürbar, neben Anatols Imermanis (* 1914), Vizma Belševica (* 1931), Ojārs Vācietis, Arija Elksne (* 1928, ✝ 1984), Imants Ziedonis, Māris Čaklais (* 1940), Vitauts Ļūdēns (* 1937), Imants Auzin̢š (* 1937) und Jānis Peters (* 1939) traten auch jüngere Talente auf, u. a. Laima Līvena (* 1943), Dagnija Dreika (* 1951) und Leons Briedis (* 1949). Bedeutende Prosaschriftsteller sind Alberts Bels (* 1938), Andris Jekūbans (* 1941), Visvaldis Eglons (* 1923) sowie Regina Ezera und Dagnija Zigmonte (* 1931). Das Drama erhielt neue Impulse v. a. durch Gunnars Priede (* 1928), Harijs Gulbis (* 1926) und Paulus Putniņš (* 1937).
In der lettischen Literatur im Exil machten sich seit den 1960er-Jahren immer mehr eine Hinwendung zu Problemen und Stilrichtungen der Gegenwart und eine Abkehr von der Fixierung auf die Vergangenheit bemerkbar. Das Fortbestehen einer Reihe von literarischen Zeitschriften bietet auch jüngeren Talenten Publikationsmöglichkeiten, so den in den 40er- und 50er-Jahren geborenen Lyrikern Margita Gutmane, Dina Rauna und Juris Kronbergs neben den schon bekannteren Baiba Bičole (* 1931), Astrīde Ivaska (* 1926) und Gunars Saliņš (* 1924). Auf dem Gebiet des Dramas sind neben dem Altmeister Mārtiņš Zīverts auch jüngere Autoren wie Jānis Rozīts (* 1951) tätig; der Prosaschriftsteller Anslav Eglītis bearbeitet seine Romane als Dramen. Bedeutende Erzähler sind außerdem Andrejs Irbe (* 1924), Guntis Zariņš (* 1926, ✝ 1965), Ilze Šķipsna (* 1928, ✝ 1981), Dzintars Sodums (* 1922) und G. Janovskis.
Die Unabhängigkeit Lettlands 1991, die auch von den Literaten und ihrem Beitrag zur Erhaltung des lettischen Nationalbewusstseins getragen worden war, brachte die Voraussetzungen für eine nur der künstlerischen Selbstverantwortung verpflichtete Literatur. Die Autoren, darunter zahlreiche Vertreter der jüngeren Generation (in der Lyrik: Uldis Bērziņš, * 1944; L. Briedis; Māra Zālīte, * 1952; Amanda Aizpuriete, * 1956; Anna Rancāne, * 1959; in der Prosa: Aivars Kļavis, * 1953; Andra Neiburga, * 1957; Gundega Repše, * 1960; Guntis Berelis, * 1961) greifen verstärkt in der sowjetischen Zeit tabuisierte Themen auf, wie Probleme der vielfach orientierungslosen Jugend, nationale Traditionen, die Geschichte der Republikzeit 1918-40. Gleichzeitig begannen sie mit der Aufarbeitung der sowjetisch dominierten Vergangenheit. Eine wichtige Rolle spielt die Rezeption der lettischen Exilautoren, die in höherem Maße als die in der Heimat verbliebenen einen Anschluss an die Strömungen der zeitgenössischen Weltliteratur gefunden hatten (u. a. Ilze Šķipsna, T. Ķiķauka, * 1929) und deren Werke nun wieder in Lettland erscheinen.
Istorija latyšskoj literatury, hg. v. J. Kalnyn', 2 Bde. (Riga 1971);
R. Ekmanis: Latvian literature under the Soviets, 1940-1975 (Belmont, Mass., 1978);
Lett. Lyrik, hg. u. übers. v. E. Zuzena-Metuzala (1983);
Mūsdienu latviešu padomju literatura 1960-1980, hg. v. V. Hausmanis (Riga 1985);
F. Scholz: Die Literaturen des Baltikums (1990).
Universal-Lexikon. 2012.