Senghor
[sɛ̃'gɔːr, sã'gɔːr], Léopold Sédar, senegalesischer Politiker, Philosoph und Schriftsteller französischer Sprache, * Joal (Westsenegal) 9. 10. 1906 (Eintrag im Geburtsregister; tatsächlich wahrscheinlich etwa zwei Monate früher), ✝ Verson (Département Calvados, Frankreich) 20. 12. 2001; besuchte die katholische Missionsschule, studierte klassische Philologie in Paris, seit 1933 französischer Staatsbürger; 1933-39 Gymnasiallehrer in Tours, gründete mit anderen schwarzen Intellektuellen die kulturphilosophische und literarische Bewegung der Négritude, geriet im Zweiten Weltkrieg in deutsche Kriegsgefangenschaft. 1945/46 war er Mitglied beider Verfassunggebenden Versammlungen Frankreichs, 1946-59 Abgeordneter in der französischen Nationalversammlung und 1955/56 Staatssekretär für Wissenschaft, 1948-58 Lehrer an der École Nationale de la France d'Outremer.
1948 gründete Senghor den Bloc Démocratique Sénégalais (BDS), aus dem 1958 unter seiner Führung die Union Progressiste Sénégalaise (UPS) hervorging. Gestützt auf diese Gruppierung wurde Senghor die führende politische Figur der schwarzafrikanischen Unabhängigkeitsbewegung in Senegal. Senghor setzte sich dort für die Mitgliedschaft in der Französischen Gemeinschaft im Rahmen der Verfassung der Fünften Republik ein. 1959/60 war Senghor Präsident der Föderation Mali, 1960-80 Staatspräsident Senegals, 1962-70 auch Premierminister. Außenpolitisch führte er sein Land in enger Bindung an Frankreich, innenpolitisch versuchte er, Erfahrungen und Traditionen der afrikanischen Geschichte mit europäischen Ideen zu verbinden. Auf der Grundlage der UPS suchte Senghor 1966-74 dieses Konzept im Rahmen einer Einparteienherrschaft zu verwirklichen, öffnete dann sein Land jedoch wieder dem Mehrparteiensystem. Nach viermaliger Wiederwahl (1963, 1968, 1973 und 1978) trat er zum Jahresende 1980 als Staatspräsident zurück.
Als Schriftsteller ist Senghor v. a. als Lyriker hervorgetreten. Beeinflusst von der Dichtung P. Claudels und Saint-John Perses und in Reaktion auf die persönliche wie allgemeine afrikanische kulturelle Entwurzelung, besang er die Schönheit der afrikanischen Frau, die Harmonie der Landschaft Afrikas sowie die Eigenart seiner Kulturen (»Chants d'ombre«, 1945). Ausgehend von seinen Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg, verlieh er seinem Zorn über die vielen den Afrikanern abverlangten Opfer Ausdruck (»Hosties noires«, 1948). Diese Themen wurden in späteren Sammlungen aufgenommen und ergänzt; die Sprechhaltung des Dichters schwankt dabei zwischen lyrischem Ich und epischer Distanz, die Sprache integriert Elemente afrikanischer Oraldichtung in ein subtil nuanciertes Französisch. In der Essaysammlung »Liberté« (5 Bände, 1964-93, Band 1 deutsch unter dem Titel Négritude und Humanismus) setzt sich der Philosoph Senghor vielfältig mit seinem Begriff von Négritude auseinander und plädiert für einen »Métissage culturel«, die Verbindung der europäischen und afrikanischen kulturellen Werte. Dieses Konzept wurde v. a. von jüngeren afrikanischen Intellektuellen häufig als Form der Überanpassung kritisiert. 1968 wurde ihm der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen, 1983 wurde er als erster Afrikaner in die Académie française gewählt.
Ausgaben: Poèmes (Neuausgabe 1984).
Botschaft und Anruf. Sämtliche Gedichte, herausgegeben von J. Jahn (Neuausgabe 1966).
G. Saravaya: Langage et poésie chez S. (Paris 1989);
Universal-Lexikon. 2012.