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russisch-orthodoxe Kirche
rụssisch-orthọdoxe Kirche,
 
eigentlich Rụssische Orthodọxe Kirche, Abkürzung ROK, die autokephale orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats; ihr Oberhaupt führt den Titel »Patriarch von Moskau und ganz Russland«. Sitz des Patriarchen ist Moskau; liturgische Sprache Kirchenslawisch. Für die theologische Ausbildung bestehen im Jurisdiktionsgebiet des Patriarchats Moskau (1997) neben den beiden traditionsreichen geistlichen Hochschulen der russisch-orthodoxen Kirche in Russland - der »Moskauer Geistliche Akademie« (Sitz in Sergijew Possad) und der »Geistlichen Akademie Sankt Petersburg« - eine geistliche Akademie in Kiew, 21 Priesterseminare, 27 geistliche Lehranstalten, eine eparchiale geistliche Lehranstalt für Frauen (Nischnij Nowgorod) und ein theologisches Institut; im Aufbau befindet sich eine geistliche Akademie in Chişinăund Die russisch-orthodoxe Kirche ist auch Trägerin der 1992 in Moskau eröffneten russisch-orthodoxen Universität. Der Ausbildung von Missionaren widmet sich das 1996 eröffnete Priesterseminar in Belgorod. Die Zahl der Menschen (Gläubigen), die sich der russisch-orthodoxen Kirche verbunden wissen, wird für Russland meist mit 50-60 Mio. angegeben, orthodoxe Publikationen nennen oft noch (weitaus) höhere Zahlen. Damit ist die r.-o. L. die größte orthodoxe Landeskirche. Patriarch ist seit 1990 Aleksij II.
 
Nach der Legende gilt der Apostel Andreas als erster christlicher Missionar im Gebiet der späteren Rus, wo in den griechischen Siedlungen um das Schwarze Meer bereits sehr früh christliche Gemeinden entstanden waren. Die eigentliche Christianisierung der ostslawischen Völker begann jedoch erst im 10. Jahrhundert, nachdem der Kiewer Großfürst Wladimir I. die Taufe empfangen (988) und das Christentum zur Staatsreligion seines Reichs erklärt hatte. Die Kiewer Metropolie unterstand seit 1037 dem Ökumenischen Patriarchat (zuvor wohl dem bulgarischen Patriarchat von Ohrid) und wurde bis 1448 meist von griechischen Bischöfen geleitet. Nach der Errichtung der mongolischen Herrschaft über die russischen Fürstentümer (1240 Zerstörung Kiews) wurde Wladimir Residenz des Kiewer Metropoliten (1299), bis es 1325 (endgültig 1354) zur Verlegung des Kiewer Metropolitansitzes nach Moskau kam, das damit zum Zentrum der russischen Kirche wurde. Als Metropolie von Moskau und ganz Russland erklärte diese 1459 formell ihre Autokephalie, die jedoch seitens des Ökumenischen Patriarchates erst 1589 mit der von Patriarch Jeremias II. vollzogenen Erhebung der russischen Kirche zum Moskauer Patriarchat anerkannt wurde. Das neue kirchliche Selbstbewusstsein spiegelte sich in der Ideologie von Moskau als dem Dritten Rom, nach der die Moskauer Herrscher nach dem Untergang des Byzantinischen Reiches (1453) das »Amt« des Bewahrers des orthodoxen Glaubens und Schutzherrn aller orthodoxer Christen beanspruchten. Die kirchliche Entwicklung vom 15. bis zum 17. Jahrhundert wurde wesentlich bestimmt durch die kirchenkritische Bewegung der Judaisierenden, die Brester Union in der Ukraine (1595/96) und die kirchlichen Auseinandersetzungen um die Reformen des Patriarchen Nikon, die mit der Abspaltung der Raskolniki ein Schisma (Raskol) zur Folge hatten. Peter der Große nutzte die Schwächung der Macht des Patriarchen und hob 1721 das Patriarchenamt auf. Bis zu seiner Wiederherstellung durch das Landeskonzil nach der Februarrevolution 1917 wurde die russisch-orthodoxe Kirche durch den Heiligen Synod, ein Kollektivorgan unter Kontrolle eines weltlichen Beamten, des Oberprokurators, geleitet. Nach der Oktoberrevolution verfügte Lenin die Trennung von Staat und Kirche (1918). Die Kirche verlor die Rechte einer juristischen Person, v. a. das Recht, Eigentum zu besitzen. Das »Gesetz über religiöse Vereinigungen« von 1929 beschränkte ihre Tätigkeit auf den Vollzug des Kultus in den vom Staat zur Verfügung gestellten Kirchengebäuden. Unmittelbar nach der Oktoberrevolution setzten blutige Verfolgungen von Geistlichen und Gläubigen ein, die ihre Fortsetzung bis 1940 in zahlreichen Verhaftungen, Repressionen und einer staatlich organisierten antikirchlichen Propaganda (Gottlosenbewegung) fanden. Erst die mit dem deutschen Angriff auf die UdSSR entstandene Situation bewirkte eine Umorientierung der staatlichen Kirchenpolitik, da die russisch-orthodoxe Kirche in der Unterstützung der für die Befreiung der »heiligen russischen Erde« kämpfenden Truppen ihre ureigene Pflicht sah. Einige Repressionen entfielen, 1943 wurde die Wahl eines neuen Patriarchen gestattet. Nach dem Zweiten Weltkrieg unterstützte der Staat in der zur UdSSR gekommenen Westukraine die Zwangseingliederung der ukrainisch-katholischen Kirche in die russisch-orthodoxe Kirche. Nach Schwankungen der Kirchenpolitik in der Folgezeit führte erst die international stark beachtete 1 000-Jahr-Feier der russisch-orthodoxen Kirche (1988) zu einer nachhaltigen Entspannung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat. Im heutigen Russland ist die russisch-orthodoxe Kirche, deren »speziellen Beitrag zum Aufbau des russischen Staatswesens und zur Entwicklung des Geistes und der Kultur Russlands« die Präambel des »Religionsgesetzes der Russischen Föderation« (1997) ausdrücklich hervorhebt, bemüht, ihre traditionelle Stellung in der Gesellschaft zurückzuerlangen. Seit 1990 hat sie große Teile ihres Eigentums zurückerhalten; über die kirchliche Tätigkeit im engeren Sinn hinaus entfaltet sie eine umfangreiche Bildungsarbeit und publizistische Tätigkeit.
 
Ein Hauptproblem stellen aus Sicht der russisch-orthodoxen Kirche gegenwärtig die kirchlichen Entwicklungen in der Ukraine dar (ukrainische Kirchen). Das Verhältnis zur russisch-orthodoxen Auslandskirche ist durch beginnende informelle Gespräche gekennzeichnet. (Sowjetunion, Religion)
 
Literatur:
 
Johannes Chrysostomus: Kirchengesch. Rußlands der neuesten Zeit, 3 Bde. (1965-68);
 H.-D. Döpmann: Die r.-o. K. in Gesch. u. Gegenwart (21981);
 J. Ellis: The Russian Orthodox Church (London 1986);
 
Das hl. Rußland. 1 000 Jahre r.-o. K., bearb. v. K. Gamber (1987);
 
Die orth. Kirche in Rußland. Dokumente ihrer Gesch. 860-1980, hg. v. P. Hauptmann u. a. (1988);
 
Tausend Jahre Christentum in Rußland, hg. v. K. C. Felmy u. a. (1988);
 G. Schulz: Das Landeskonzil der Orth. Kirche in Russland. Ein unbekanntes u. ungenutztes Reformpotential 1995);
 A. Lorgus u. M. Dudko: Orth. Glaubensbuch. Eine Einf. in das Glaubens- u. Gebetsleben der Russ. Orth. Kirche (a. d. Russ., 2001).
 
Weitere Literatur: orthodoxe Kirche

Universal-Lexikon. 2012.