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chinesische Sprache und Schrift
chinesische Sprache und Schrift
 
[ç-]. Die chinesische Sprache, die bedeutendste der sinotibetischen Sprachen, ist prinzipiell gekennzeichnet durch Monosyllabismus (Einsilbigkeit) der Wortwurzeln, Isolierung (keine Affixe, d. h. Bildungssilben, u. Ä. zur Bezeichnung grammatischer Kategorien, die im Chinesischen nur durch die Wortstellung erkennbar sind, isolierende Sprachen) und (wahrscheinlich erst später hinzugetretene) Worttöne. Durch ihre weite Ausbreitung und ihre fast drei Jahrtausende lange Entwicklung hat sie so viele Ausformungen erfahren, dass sich eigentlich mehrere Sprachen hinter der chinesischen Sprache verbergen, was nur durch die von Lautveränderungen unabhängige ideographische (Begriffe und nicht Laute bezeichnende) chinesische Schrift weniger auffällt. Der im Altchinesischen sehr komplizierte Lautstand mit konsonantischen Auslauten und v. a. Konsonantenhäufungen im Anlaut (die auf eine noch weiter zurückliegende Mehrsilbigkeit schließen lassen) vereinfachte sich bis hin zum abgeschliffensten, nur noch (mit Tondifferenzierungen rd. 1 600) Lautkomplexe umfassenden Pekingdialekt, der in der Moderne zur Hochsprache wurde (früher Guan-hua, Kuan-hua, »Mandarin«, heute Pu-tong-hua, P'u-t'ung-hua, »Gemeinsprache« oder Guo-yu, Kuo-yü, »Staatssprache«). Die südlichen und südöstlichen Dialekte (Kantonesisch, Hakka, Fukien u. a.) bewahren zum Teil noch den älteren Lautstand mit einem auch viel komplizierteren Worttonsystem. Er spiegelt sich auch noch in den unzähligen chinesischen Lehnwörtern wider, die von den benachbarten Ländern, besonders von Japan und Korea, zusammen mit der chinesischen Kultur übernommen wurden. Da schon in den Dialekten, v. a. aber in der Hochsprache, die wenigen Lautkomplexe zur Wiedergabe des reichen Wortschatzes nicht genügten und zu unzähligen Homonymen (gleich lautenden, aber bedeutungsverschiedenen Wörtern) führten, entstanden zur Vermeidung von Verwechslungen Wortzusammensetzungen; so konnten auch sehr komplizierte Begriffe gewissermaßen synthetisch ausgedrückt werden, und die Sprache wurde in der Praxis letztlich wieder »mehrsilbig«. Parallel dazu übernahmen auch alte grammatische Hilfswörter allmählich die Funktion von Affixen, sodass die Sprache langsam auch ihren »isolierenden« Charakter einbüßte und sich dem einer »agglutinierenden« annäherte (agglutinierende Sprachen). Die Literatursprache (»Schriftsprache«, Wen-yan, Wen-yen) behielt jedoch (mit Variationen) den Sprachstand aus etwa der Mitte des 1. vorchristlichen Jahrtausends bei, der hinter der lebendigen Sprachentwicklung immer weiter zurückfiel und sich (wie etwa das klassische Latein im europäischen Kulturraum) für moderne Bedürfnisse als unzureichend erwies. In einer seit 1917 lautstark vorgetragenen »literarischen Revolution« wurde die Literatursprache abgeschafft und durch die Umgangssprache (»klare Sprache«, Bai-hua, Pai-hua) ersetzt. Feste sprichwortartige, meist viergliedrige Ausdrücke in Schriftsprache, die zum Teil auf alte Geschichten anspielen (Cheng-yu, Ch'eng-yü), nehmen aber weiterhin in der Umgangssprache einen wichtigen Platz ein. Die literarische Verwendung der Umgangssprache lässt sich in der Lyrik bis ins 6. Jahrhundert zurückverfolgen, in der Prosa mit buddhistischem Schrifttum bis ins 8. Jahrhundert Sie beherrschte auch spätestens seit dem 13. Jahrhundert unangefochten Drama und Roman. Die Schwierigkeiten bei der Selbstfindung der chinesischen Literatur in der Moderne sind nicht zuletzt auf den totalen Verlust des überkommenen Ausdrucksmittels der Schriftsprache zurückzuführen, für das in der Umgangssprache ein Bezugssystem erst nach und nach aufgebaut werden musste, ein Prozess, der auch heute noch nicht völlig abgeschlossen ist.
 
Die chinesische Schrift ist im Prinzip eine Wortschrift, die im 2. Jahrtausend v. Chr. aus einer Bilderschrift hervorging. Die ältesten Zeugnisse erscheinen in bereits voll ausgebildeter Form seit der Mitte des 2. vorchristlichen Jahrtausends einerseits auf Knochen und Schildkrötenschalen, die zu Orakelzwecken benutzt wurden, andererseits auf sakralen Bronzegefäßen, in denen nicht selten Zeichen eingegossen waren. Sie gliedern sich bereits in vier, auch heute noch nebeneinander bestehende Typen (Übersicht), die sich jedoch nacheinander herausbildeten: 1. einfache Bilder (»Berg«, »Pferd«); 2. zusammengesetzte Bilder (»Gefäß« und »Hände«: »emporheben«); 3. lautlich entlehnte Bildzeichen (»ran«: »aber« geschrieben mit dem gleichfalls »ran« ausgesprochenen Zeichen für »anzünden«); 4. zusammengesetzte Zeichen, die sowohl aus einem (ungefähr) die Sinnkategorie als auch aus einem die Aussprache angebenden Element bestehen (»ma«: »Mund« und »Pferd« für »ma«: Fragepartikel). Die Entstehung der 4. Gruppe, die erst sekundär durch die spätere Hinzufügung der Kategorienelemente aus der 3. entstand, heute aber über 7/8 des Zeichenbestandes ausmacht, verstellte den Übergang zur Lautschrift; dieser war in der 3. Gruppe bereits angelegt, konnte wegen des isolierenden Charakters der chinesischen Sprache (Fehlen von Affixen und damit von in sich bedeutungslosen Lautkörpern) aber nicht weiterverfolgt werden, anders als im Japanischen, wo aus der übernommenen chinesischen Schrift rasch eine phonetische Silbenschrift entstand. Die von der Qindynastie (221-206 v. Chr.) vorgenommene Schriftreform, in der verschiedene, zum Teil lokale Schriftformen vereinheitlicht und v. a. abstrakter gefasst wurden, blieb die Basis der Schriftgestalt bis in die Gegenwart. Es gibt jedoch - von kalligraphischen Besonderheiten abgesehen - unterschiedliche Schriftstile: 1. die archaischen oder archaisierenden, den Bronzeinschriften nachempfundenen »Siegelschriften« verschiedener Prägung (Zhuan-shu, Chuan-shu); 2. die Kanzlei- oder Kurialschrift (Li-shu); 3. die normale »Musterschrift« (Kai-shu, K'ai-shu); 4. die Kursivschriften »Lauf-Schrift« (Xing-shu, Hsing-shu) und »Gras-Schrift« (Cao-shu, Ts'ao-shu). Die heute rd. 50 000 Schriftzeichen, von denen etwa 3 500 für die gewöhnliche Lektüre genügen, bauen sich aus knapp 1 000 einfacheren, zum Teil auch allein verwendeten Elementen auf. Die schwer erlernbare Schrift hat nicht nur in der Vergangenheit die Herausbildung einer Gelehrtenschaft begünstigt, sondern auch bis heute die Übernahme von Fremdwörtern, die mit ihr nur sehr unvollkommen transliteriert werden können, wesentlich erschwert. Vorschläge zu einer Schriftreform, die entweder radikal auf die Einführung eines westlichen oder einheimischen (Zhu-yin zi-mu, Chu-yin tzu-mu) phonetischen Alphabets oder auf eine Zeichenvereinfachung abzielten, gab es schon seit Ende des 19. Jahrhunderts. Nach langwierigen Diskussionen wurden in der Volksrepublik China 1958 für den normalen Schriftverkehr vereinfachte Zeichen eingeführt, die großenteils auf schon von jeher in Kursivschriften verwendeten Formen aufbauten. Gleichzeitig erfolgte die Umstellung der traditionell in vertikalen Zeilen von rechts nach links laufenden Schrift auf die horizontale Schriftrichtung. Die Ende der 70er-Jahre offiziell eingeführte Umschrift (Pinyin) blieb eine für den Umgang mit dem Ausland reservierte, hauptsächlich für Namen verwendete Hilfsschrift. Sie löst seither zunehmend die bis dahin überwiegend (aber durchaus nicht allein) verwendete Umschrift nach Wade-Giles ab. Die grundsätzliche Beibehaltung der eigenen Schrift sichert die Verstehbarkeit schriftliche Äußerungen auch in Dialektgebieten sowie die Eindeutigkeit spezieller Termini, die angesichts der unzähligen Homonyme sonst schwer verständlich wären. Darüber hinaus hat sie sicher auch nationale Ursachen, da von jeher die kulturelle Identität Chinas mit der Schrift gleichgesetzt wurde.
 
Literatur:
 
Sprache:
 
Allgemeines: B. Karlgren: Grammata serica (Stockholm 1957);
 R. A. D. Forrest: The Chinese language (London 21965);
 P. Kratochvil: The Chinese language today (London 1968);
 J. De Francis: The Chinese language (Honolulu 1984);
 H.-J. Geduhn: Sprachplanung in der VR China 1976-80 (1985).
 
Grammatik: H. G. C. von der Gabelentz: Chin. Gramm. (Halle/Saale 41960);
 Y. R. Chao: A grammar of spoken Chinese (Berkeley, Calif., 1968);
 C.-L. Sung: Gramm. der chin. Umgangssprache (1984);
 U. Unger: Einf. in das klass. Chinesisch, 2 Bde. (1985).
 
Wörterbücher: W. Rüdenberg: Chin.-dt. Wb. (31963);
 S. Jaschek: Chin.-dt. Wb. der internat. Beziehungen (21979);
 Z. Xu: Han-De chengyu cidian (Peking 1981; Chin.-dt. Lex. der sprichwörtl. Redensarten);
 Y.-C. Yang u. a.: Das neue Dt.-Chin. Wb. (Schanghai 1984);
 Z. Xu u. a.: Xin Han-De cidian (Peking 1985; Chin.-dt. Wb.);
 H. Beutel u. a.: Chin.-dt. Wb., 2 Bde. (Berlin-Ost 1985);
 E.-L. Pao u. Y. Cheng: Chin. Redensarten für Unterricht u. Selbststudium (1985).
 Schrift:
 
Y. Chiang: Chinese calligraphy (Cambridge, Mass., 21954);
 B. Karlgren: Sound and symbol in Chinese (Neuausg. Hongkong 1962);
 P. L. M. Serruys: Survey of Chinese language reform.. . (Berkeley, Calif., 1962);
 L. Ledderose: Die Siegelschrift in der Ch'ing-Zeit (1970);
 R. Goepper: Shu-p'u (Wiesbaden 1974);
 L. Ledderose: Mi Fu and the classical tradition of Chinese calligraphy (Princeton, N. J., 1979).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
chinesische Schrift und Kalligraphie
 

Universal-Lexikon. 2012.