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Bob Dylan
Bob Dylan
 
Die graue Eminenz der Rockmusik
 
Bob Dylan, der Komponist und Sänger so berühmter Songs wie »Blowin' in the wind«, »The times they are a-changin'«, »All along the watchtower« oder »Knockin' on heaven's door«, ist einer der bedeutendsten und einflussreichsten Musiker der Rockgeschichte. Aus der traditionellen amerikanischen Volksmusik schuf er eine musikalische Form, die in den zunehmend politischen 1960er-Jahren eine immense kulturelle Bedeutung erlangte und den politischen Kampf vorantrieb. Mit Gitarre, Mundharmonika und Stimme reduzierte er die Musik auf das Wesentliche, und als er Mitte der 60er-Jahre begann, elektrisch verstärkt zu spielen, wandten sich zwar die Puristen von ihm ab, doch ein neues, viel größeres Publikum tat sich auf. Mit seinen Hunderten von Liedern leistete er einen gewaltigen Beitrag zur Geschichte der populären Musik, deren Entwicklung ohne ihn mit Sicherheit anders verlaufen wäre. Wenngleich es ab Mitte der 70er-Jahre - gemessen an den 60ern - zunehmend ruhiger um ihn wurde, arbeitete er beständig weiter und wurde zur »grauen Eminenz« der Rockmusik. Sein Lebenswerk und seine Person gleichermaßen würdigend, sprechen seine Verehrer von ihm als »His Bobness« (»Ihre Bobheit«).
 
 Jugend und Einflüsse
 
Bob Dylan kam am 24. Mai 1941 als Robert Allen Zimmerman in Duluth, Minnesota, zur Welt und verbrachte seine - gemäßigt orthodox-jüdisch geprägte - Kindheit in Hibbling, einem Städtchen nahe der kanadischen Grenze. Im Alter von zwölf Jahren begann er, Gitarre und Mundharmonika zu spielen, und in der Highschool sammelte er musikalische Erfahrungen mit Rock-'n'-Roll-Bands wie den Golden Chords oder den Rock Boppers. Er verließ die Schule, um - wie er im Jahrbuch vermerkte - »Little Richard zu folgen«, begann dann jedoch ein Studium an der University of Minnesota in Minneapolis. 1960 brach er dieses ab, um unter dem Künstlernamen Elston Gunn aufzutreten, teils als Begleitmusiker anderer Künstler, teils solo. Der Folkboom war in vollem Gange, und der junge Robert, der sich neben dem Rock 'n' Roll auch der traditionelleren amerikanischen Volksmusik eines Woodie Guthrie (weiß), Robert Johnson oder Leadbelly (beide schwarz) verpflichtet fühlte, machte sich auf die Suche nach einer eigenen musikalischen Form. Die Kombination von Gitarre und Mundharmonika, gekoppelt mit näselndem Gesang, erwies sich als fruchtbar, was Robert bewog, den Highway 61 zu nehmen und sich in Richtung New York aufzumachen. Dort kam er - jetzt als Bob Dylan (in Anlehnung an den walisischen Dichter Dylan Thomas) - Anfang 1961 an. Er besuchte den schwer kranken Guthrie, seinen »Vater im Geiste«, für den er den »Song to Woodie« schrieb, im Krankenhaus und begann, als Sessionmusiker bei Plattenaufnahmen zu arbeiten und solo aufzutreten. Bereits im April spielte er im Vorprogramm von John Lee Hooker, und bei diesem Anlass lernte er die damals schon berühmte Folksängerin Joan Baez kennen. Die beiden wurden ein Liebespaar und firmierten bald unter der Bezeichnung »King and Queen of Folk«. Im Anschluss an eine überschwängliche Konzertkritik in der »New York Times« wurde ihm von Columbia Records ein Plattenvertrag angeboten.
 
 Folk und Protest
 
1962 erschien »Bob Dylan«, eine Langspielplatte mit rohen Versionen traditioneller Folksongs, die kommerziell nicht erfolgreich war, in der Szene der Eingeweihten, im New Yorker Intellektuellen- und Bohemeviertel Greenwich Village, allerdings für mächtigen Trubel sorgte und als Anheizer diente für das, was folgte. Bereits mit der nächsten Platte, »The freewheelin' Bob Dylan« (1963), wurde Dylan zur Stimme seiner Generation. Seine Eigenkompositionen »Don't think twice, it's alright«, »Masters of war«, »A hard rain's gonna fall« und insbesondere das hymnische »Blowin' in the wind« trafen den Nerv der Zeit in kaum vorstellbarem Ausmaß. Es war die Zeit des Kalten Krieges, die Kubakrise war gerade vorüber, die USA begannen sich politisch und militärisch in Vietnam zu engagieren und im eigenen Land formierte sich die Bürgerrechtsbewegung der schwarzen Bevölkerung, die von weißen Studenten und anderen aufgeklärten Zeitgenossen begeistert unterstützt wurde. Die Folkmusic besann sich nicht nur auf die Tradition des »wahren« Amerika, das in der Verfassung jedem Bürger des Landes die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit garantierte, sie war auch das ideale Mittel, Meinungen, Wünsche, Protest und Botschaften musikalisch unkompliziert zu transportieren. Und die Botschaft der aufbegehrenden Jugend war bereits zu Beginn der 60er-Jahre klar, wenngleich sie erst gegen Mitte des Jahrzehnts in eine Massenbewegung münden sollte: Schluss mit Unterdrückung, Krieg und Ausbeutung, angesagt sind »peace and love«. Hatte Joan Baez bereits 1962 mit Pete Seegers »We shall overcome« der politisierten Jugend ein berühmtes Schlagwort geliefert, zog Dylan mit »The times they are a-changin'«, dem Titelsong seiner nächsten LP, Anfang 1964 mit ihr gleich. Doch Bob Dylan war nicht nur ein Protestsänger, sondern auch ein hervorragender Musiker, dessen Genialität als Songschreiber zunehmend zutage trat. Ende 1964 legte er mit »Another side of Bob Dylan« ein Album vor, das eben seine andere Seite zeigte: herrliche Lieder, die von der Politik abrückten und mehr persönlich gehalten waren. Angesichts solcher Kompositionen wie »All I really want to do«, »Chimes of freedom«, »My back pages« oder »It ain't me babe« verwundert es kaum, dass die Folkgemeinde verstört war, aufgeschlossene Jungtalente wie die Gruppe »Byrds« sich hingegen daranmachten, einen Dylan-Song nach dem anderen zu covern und auf der Basis seiner Lieder das völlig neue Genre des Folkrock aus dem Boden zu stampfen.
 
 Goldene Jahre
 
Nach diesem Album des Übergangs machte Dylan keine halben Sachen mehr. Er war - genau wie der Rest der Welt - überwältigt von dem, was die Beatles auf die Beine gestellt hatten (in London trafen sich die fünf auch persönlich), und nahm sein nächstes Album nicht mehr allein und »akustisch«, sondern mit (elektrisch verstärkter) Begleitband auf. »Bringing it all back home« - später umbenannt nach »Subterranean homesick blues«, dem ersten Stück auf der Platte - erschien Anfang 1965 und empörte die »Polit-Folkies« (die dem politisch ausgerichteten Folk Zugetanen), doch Dylan war zumindest musikalisch auf dem richtigen Weg - immerhin enthielt die Platte auch in alter Manier vorgetragene Songs wie »Mr. Tambourine Man« oder »It's all over now, baby blue«. Privat dachte er in diesem Jahr ans Aufhören. Der Tourneestress, dokumentiert in D. A. Pennebakers Film »Don't look back« (1967), und der künstlerische wie öffentliche Druck - beim »Newport Folk Festival« trat er mit Band auf und handelte sich Buhrufe ein - wurden ihm einfach zu viel. Doch er machte weiter und schrieb seinen vielleicht berühmtesten Song, das sechsminütige »Like a rolling stone«, das Ende 1965 in dem Meisterwerk »Highway 61 revisited« enthalten war. Die Platte wurde von Musikkritikern wie Fans gleichermaßen bejubelt und war Dylans erstes Werk, das in den Hitparaden der Welt ganz oben mitmischte. Einen weiteren Geniestreich schob er 1966 in Form des Doppelalbums »Blonde on blonde« nach, und nach einer anstrengenden Welttournee und seinem schweren Motorradunfall im Juli desselben Jahres konnte er sich guten Gewissens für längere Zeit zurückziehen. Innerhalb von 18 Monaten hatte er nicht nur seine drei besten Platten veröffentlicht, sondern auch drei der wichtigsten Platten aller Zeiten.
 
 Zerstörung des Mythos, Neuanfang und Reife
 
Dylan zog sich mit seiner Band - die 1968 als »The Band« beginnen sollte, selbst Musikgeschichte zu schreiben - in die ländliche Einöde von Woodstock im Staat New York zurück, um im Keller (englisch »basement«) eines »Big pink« genannten Hauses an Songs zu arbeiten. Diese erschienen offiziell erst 1975 als »The basement tapes«, und anhand von Songs wie »This wheel's on fire« oder »Nothing was delivered« wurde deutlich, dass Dylans Genius durch den Unfall nicht gelitten hatte. Als Come-back-Album legte er jedoch 1968 »John Wesley Harding« vor, eine Platte, die genau wie der Nachfolger »Nashville skyline« (1969) von vielen als Versuch interpretiert wurde, den eigenen Mythos zu zerstören. Schlicht und mit neuem Gesangsstil präsentierte sich Dylan als einfacher Songschreiber, wenngleich er seine Meisterschaft im Komponieren einfach nicht verstecken konnte (»I'll be your baby tonight«, »All along the watchtower«, »Lay, lady, lay«). Nach »Self-portrait« (1970), einer Mischung aus neuen Stücken, Liveaufnahmen und Coverversionen, sowie »New Morning« (1970) kam erst 1973 ein neues Dylan-Album auf den Markt: der Soundtrack zu Sam Peckinpahs Film »Pat Garrett jagt Billy the Kid«, der das herrliche »Knockin' on heaven's door« enthielt und in dem Dylan selber die Rolle des Alias übernommen hatte. 1974 folgte mit »Planet waves« seine erste Nummer 1 in den USA, 1975 konnten »Blood on the tracks«, sein bestes Album der reifen Jahre, ebenso wie »Desire« (1976) diesen Erfolg wiederholen. Nach dieser besonders fruchtbaren Phase arbeitete Dylan bis in die jüngste Vergangenheit ruhmreich, mit zahlreichen Veröffentlichungen, aber zumeist weniger spektakulär als bisher weiter. 1997 brachte er sein viel beachtetes Album »Time out of mind« heraus, das mit drei Grammys ausgezeichnet wurde; im gleichen Jahr trat er, der 1979 zum christlichen Glauben übergetreten war, beim Eucharistischen Weltkongress in Bologna auf und intonierte in Anwesenheit des Papstes »Knockin' on heaven's door«. Sein bisher letztes Album mit neuen Titeln, »Love and theft«, erschien im Herbst 2001 - für Bob Dylan ein Glücksjahr: Denn im März 2001 wurde ihm für seinen Song »Things have changed« aus dem Film »Wonder boys« von Curtis Hanson sein erster Oscar verliehen (im Januar bereits ein Golden Globe).
 
 Dylans Bedeutung für die Rockmusik
 
Bob Dylan ist neben Lennon/McCartney von den »Beatles« und Jagger/Richards von den »Rolling Stones« der bedeutendste und einflussreichste Komponist in der Geschichte der Rockmusik. Er lieferte der Hippiegeneration ihre Hymnen und versorgte dadurch, dass er in der Tradition der Volksmusik einfache, von jedermann nachspielbare Lieder komponierte, alle, die das populärste Instrument des 20. Jahrhunderts, die Gitarre, auch nur in der Hand halten konnten, mit Material. Der Rest konnte immerhin mitsingen, auch wenn die Texte nicht immer leicht verständlich und teilweise äußerst surrealistisch waren. Die Folkmusic kam aus dem Volk, und Dylan führte sie dahin zurück. Darüber hinaus inspirierte er, vor allem in den 60er-Jahren, Unmengen von Künstlern. Die Byrds entwickelten, ausgehend von Dylan-Songs, als ganz neues Genre den Folkrock, der in seinen verschiedenen Ausprägungen der vorherrschende Musikstil der mittleren bis späten 60er-Jahre wurde (Gruppen: The Turtles, Jefferson Airplane, Sonny & Cher, The Mamas and The Papas), anderen gab Dylan den Anstoß, ihm nachzueifern. Die gesamte Singer-/Songwriter-Bewegung nahm ihren Anfang mit Dylan, und erst nach seinen Erfolgen war die Bahn frei für große Komponisten und Sänger wie Joni Mitchell, Paul Simon, Leonard Cohen oder Neil Young, von den in den 90er-Jahren auf den Plan tretenden Nachwuchskünstlern ganz zu schweigen. War Dylan von den Beatles derart begeistert, dass er 1965 selbst anfing, elektrisch verstärkte Musik zu machen, ließen sich diese im Gegenzug (und im gleichen Jahr) von seiner Art zu schreiben anregen: Lieder wie »You've got to hide your love away« oder »Yesterday« verdankt die Welt dem Einfluss Dylans. Nicht nur die Rolling Stones (»It's all over now, baby blue«; »Like a rolling stone«) oder einer der größten Dylan-Fans überhaupt, Jimi Hendrix (»All along the watchtower«), coverten Dylan: Jeder - von Elvis Presley über Cher bis zu den Walker Brothers - interpretierte seine Lieder. Für den deutschsprachigen Raum ist interessant, dass zwei bedeutende Sänger ihre Karrieren in den 70er-Jahren damit begannen, Dylan-Texte zu übersetzen und in ihrer Mundart vorzutragen: der österreichische Liedermacher Wolfgang Ambros und Wolfgang Niedecken, der spätere Leader der Kölner Rockband »BAP«.

Universal-Lexikon. 2012.