Gä|rung 〈f. 20〉
1. alkoholische \Gärung chem. Verwandlung von Fruchtsäuren in Ethanol durch Hefen
2. 〈fig.; geh.〉 Unruhe, Erregung, Aufruhrstimmung (z. B. im Volk)
● in \Gärung geraten, übergehen
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Gä|rung [mhd. gern = aufwallen, brodeln]: durch mikrobielle Enzyme bewirkter anaerober oder aerober, im Allg. von Gasentwicklung begleiteter biologischer Abbau höhermolekularer Stoffe zu niedermol. Verb., z. B. zu Ethanol (alkoholische Gärung), Milchsäure, Glycerin, Aceton, Essigsäure; vgl. Fermentation u. Biotechnologie.
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Gä|rung, die; -, -en:
alkoholische G. (Bildung von Alkohol durch Gärung);
die G. der Trauben;
in G. geraten, übergehen.
geistige, soziale G.;
die G. in jmds. Bewusstsein, im Volk wächst.
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Gärung,
Bezeichnung für den anaeroben (ohne Sauerstoff verlaufenden) enzymatischen Abbau von organischen Verbindungen, besonders von Kohlenhydraten, wobei die beteiligten Enzyme (Gärungsenzyme) von lebenden Mikroorganismen (Hefezellen, Bakterien, Schimmelpilzen u. a.) oder von Zellen höherer Organismen gebildet werden. Im Unterschied zur Atmung (Zellatmung, Atmungskette) erfolgt der Abbau der Kohlenhydrate bei der Gärung nicht vollständig zu Kohlendioxid und Wasser, sondern es werden relativ energiereiche Endprodukte gebildet. Entsprechend ist die Energieausbeute der Gärung wesentlich geringer als bei der Atmung. Die einzelnen Arten der Gärung werden nach den entstehenden Endprodukten bezeichnet. Man unterscheidet danach u. a. die alkoholische Gärung, die Milchsäure- und die Propionsäuregärung. Gärungen sind z. B. wesentlich an den Vorgängen der Fermentation beteiligt. - Neben den anaerob verlaufenden Gärungen werden (inkorrekt, aber allgemein gebräuchlich) auch einige aerob (unter Mitwirkung von Sauerstoff) verlaufende biochemische Prozesse Gärung genannt, v. a. die unter dem Einfluss von Mikroorganismen verlaufende Überführung von Äthanol in Essigsäure (Essigsäuregärung) oder die Umwandlung von Glucose in Zitronensäure (Zitronensäuregärung).
Die Vergärung von Kohlenhydraten beginnt allgemein mit der Reaktionskette der Glykolyse (Abbau von Glucose zu Brenztraubensäure, die meist in Form ihrer Salze, der Pyruvate, vorliegt). Bei der Milchsäuregärung wird die Brenztraubensäure durch das Enzym Milchsäure- oder Lactatdehydrogenase (unter Oxidation des Coenzyms NAD · H2 zu NAD) zu Milchsäure hydriert:
Diese Gärung ist nicht nur für die Energiegewinnung bei der Muskelarbeit von Bedeutung, durch sie gewinnen auch die Milchsäurebakterien die von ihnen benötigte Energie. Da die hierbei von ihnen ausgeschiedene Milchsäure eine Reihe von unerwünschten Mikroorganismen unterdrückt, ist die Milchsäuregärung von großer lebensmitteltechnischer Bedeutung; sie dient u. a. zur Haltbarmachung von Gemüsen (z. B. bei der Herstellung von Sauerkraut und sauren Gurken), Milchprodukten (Quark, Käse, Joghurt) und von Futtermitteln (Silage).
Lebensmitteltechnisch ähnlich wichtig ist auch die v. a. durch Hefen bewirkte alkoholische Gärung, bei der unter Einwirkung der in Hefen oder in der Zymase enthaltenen Enzyme aus D-Glucose (Traubenzucker) oder anderen Hexosen über mehr als 12 stabile Zwischenprodukte Alkohol (Äthanol) und Kohlendioxid entstehen (Äthanol). Die alkoholische Gärung kann auch so geführt werden, dass sich andere Produkte anreichern: bei Zugabe von Natriumsulfit beziehungsweise -hydrogensulfit z. B. Glycerin und Acetaldehyd in äquimolaren Mengen (Glyceringärung; Ausbeute bis 35 % Glycerin).
Bei der Propionsäuregärung durch Bakterien der Gattung Propionibacterium entsteht durch Carboxylierung von Pyruvat zunächst Oxalacetat und daraus über weitere Zwischenverbindungen Propionat; diese Gärung spielt v. a. bei der Käsereifung eine Rolle (die Löcher im Schweizer Käse entstehen durch dabei freigesetztes Kohlendioxid).
Technisch wichtige Gärungsvorgänge werden ferner durch Bakterien der Gattung Clostridium, v. a. durch Buttersäurebakterien, bewirkt. Diese können Hexosen, die aus Kartoffel- oder Maisstärke, Melasse, Holzzucker oder Sulfitablaugen gewonnen werden, nach dem Mechanismus der alkoholischen Gärung vergären. Die entstehende Brenztraubensäure (beziehungsweise das Pyruvat) wird hierbei zunächst in Acetyl-CoA überführt. Aus diesem können durch verschiedene Reaktionen Essigsäure (als Nebenprodukt), Äthanol (Nebenprodukt), Butanol (Butanolgärung), Aceton (Acetongärung), Isopropanol (Isopropanolgärung) oder Buttersäure (Buttersäuregärung) entstehen; diese Stoffe wurden früher zum Teil industriell auf diesem Wege erzeugt.
Die Zitronensäuregärung und die Essigsäuregärung sind, wie bereits erläutert, keine Gärungen im biochemischen Sinne: Die Zitronensäuregärung wird bei der Herstellung von Zitronensäure angewendet. Als Ausgangsstoff dienen zuckerhaltige Lösungen (Melasse, Maisabfälle, Rübenschnitzel u. a.), die mit Arten der Gattung Citromyces oder mit Aspergillus niger beimpft werden. Der Prozess läuft bei 30 ºC ab, temperierte keimfreie Luft dient zur Sauerstoffversorgung. Nach 7 bis 8 Tagen sind 60 bis 80 % des ursprünglich vorhandenen Zuckers in Zitronensäure (C6H8O7) nach folgender Bilanzgleichung umgewandelt:
Bei der Essigsäuregärung wird Äthylalkohol (Äthanol) unter Mitwirkung von Sauerstoff durch Bakterien der Gattung Acetobacter zur Essigsäure vergoren:
Die Reaktion verläuft in zwei Schritten über Acetaldehyd, der entweder durch Oxidation oder durch dehydrierende Dismutation in Essigsäure umgewandelt wird. Für die bakterielle Essigsäureherstellung aus Alkohol sind zahlreiche Verfahren entwickelt worden (Essig).
H.-J. Rehm: Industrielle Mikrobiologie (21980);
Industrielle Mikrobiologie, hg. v. P. Gruss u. a. (1984).
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Universal-Lexikon. 2012.