Reynaud
[rɛ'no],
1) Jean Ernest, französischer Ingenieur und Sozialphilosoph, * Lyon 14. 2. 1806, ✝ Paris 28. 6. 1864; vertrat einen von den Saint-Simonisten beeinflussten Sozialismus. In seinem Hauptwerk »Philosophie religieuse. Terre et ciel« (1854) vertrat er die Idee eines unbegrenzten Fortschritts im Sinne der Vergeistigung des Menschen.
2) Paul, französischer Politiker, * Barcelonnette 15. 10. 1878, ✝ Neuilly-sur-Seine 21. 9. 1966; Jurist; gehörte als Abgeordneter 1919-24 zum Bloc national républicain, ab 1928 zur Demokratischen Allianz, war 1930-40 mehrfach Minister (Finanzen, Kolonien, Justiz). Als Nonkonformist der bürgerlichen Rechten griff Reynaud den Plan C. de Gaulles für eine Panzerarmee mit Berufssoldaten auf, plädierte im Abessinienkonflikt für Sanktionen gegen B. Mussolini und lehnte eine Verständigung mit Hitler ab. 1938 hob er als Finanzminister die Sozialleistungen der Volksfront auf. Am 21. 3. 1940 zum Ministerpräsident gewählt (zugleich Außenminister, ab Mai auch Verteidigungsminister), bemühte sich Reynaud um Festigung der französisch-britischen Allianz und suchte vergeblich, die militärische Niederlage Frankreichs durch Einbeziehung erfolgreicher Militärs und Fachleute in die Regierung (z. B. P. Pétain, de Gaulle) zu verhindern. Da er sich mit seinem Plan, den Kampf von den Kolonien aus fortzusetzen, nicht durchsetzen konnte, trat er am 16. 6. 1940 zurück. Im September 1940 auf Befehl Pétains inhaftiert, in Riom angeklagt, nach der Auslieferung an Deutschland 1942 in KZ-Haft. 1946-62 Abgeordneter der Unabhängigen Republikaner, 1948 Finanzminister, 1953-54 stellvertretender Ministerpräsident. Als Befürworter der deutsch-französischen Verständigung und Anhänger der europäischen Einigung Abgeordneter im Europarat (1949-57) und der Gemeinsamen Versammlung der Montanunion (1952-58). 1958 war Reynaud Präsident des beratenden Komitees für die Ausarbeitung der Verfassung der Fünften Republik, wurde aber bald ein Gegner der Politik de Gaulles (Ausnahme: Entkolonialisierung).
Schriften: La France a sauvé l'Europe, 2 Bände (1947, Neuausgabe 1951 unter dem Titel: Au cœur de la mêlée 1930-45); Mémoires, 2 Bände (1960-63); La politique étrangère du gaullisme (1964).
Universal-Lexikon. 2012.