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Rapallovertrag
I
Rapạllovertrag,
 
1) das am 16. 4. 1922 zwischen dem Deutschen Reich (Reichskanzler J. Wirth; Außenminister W. Rathenau) und (Sowjet-)Rußland (G. W. Tschitscherin) während der Weltwirtschaftskonferenz von Genua (10. 4.-19. 5. 1922) geschlossene Abkommen. Beide Staaten verzichteten auf die Erstattung der militärischen und zivilen Kriegsschäden, Deutschland darüber hinaus auf das von sowjetischer Verstaatlichung betroffene deutsche Eigentum; der Rapallovertrag regelte die beiderseitigen Wirtschaftsbeziehungen auf der Grundlage der Meistbegünstigung und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen.
 
Angesichts der unnachgiebigen Haltung der Westmächte in der Reparationsfrage (Londoner Konferenzen und Vereinbarungen 7) und der deutschen Befürchtung, Frankreich könne gemäß Art. 116 des Versailler Vertrags die russischen Vorkriegsschulden von Deutschland erstatten lassen, befürwortete der anfänglich widerstrebende Rathenau den Rapallovertrag, v. a. um die Isolierung Deutschlands zu überwinden. Der Vertrag war der erste Schritt einer eigenständigen deutschen Außenpolitk nach 1918 sowie handelspolitisch eine Bestärkung der kurzzeitigen, aber nicht einseitigen Ostorientierung. Für die noch junge Sowjetunion bedeutete die im Wesentlichen wirtschaftlich motivierte, bilaterale Übereinkunft eine internationale Aufwertung und die Verhinderung des von der französischen Regierung unter R. Poincaré favorisierten Projekts eines internationalen Finanzkonsortiums, das eine Wirtschaftskontrolle über die von westlichen Wiederaufbaumitteln abhängige Sowjetunion ausüben sollte. Großbritannien und Frankreich fühlten sich durch den Rapallovertrag brüskiert. - Der Rapallovertrag war lange Zeit Gegenstand heftiger Kontroversen (H. Graml, T. Schieder), wird jedoch heute allgemein als defensives Gleichgewichtsmodell im Rahmen der Friedensordnung der Pariser Vorortverträge (1919/20) interpretiert. Mittelbar führte er zur Besetzung des Ruhrgebiets (11. 1. 1923).
 
Literatur:
 
R. Bournazel: Rapallo, ein frz. Trauma (a. d. Frz., 1976);
 K. Hildebrand: Das Dt. Reich u. die Sowjetunion im internat. System, 1918-1932 (1977);
 W. Beitel u. J. Nötzold: Dt.-Sowjet. Wirtschaftsbeziehungen in der Zeit der Weimarer Rep. (1979);
 P. Krüger: Die Außenpolitik der Rep. von Weimar (1985).
 
 2) italienisch-jugoslawischer Vertrag vom 12. 11. 1920, der die territoriale Abgrenzung zwischen beiden Staaten in Dalmatien regelte: Italien erhielt Zara (Zadar) mit einigen vorgelagerten Inseln; Fiume (Rijeka) wurde Freistaat; das übrige Dalmatien fiel an Jugoslawien.
II
Rapallovertrag
 
Anlässlich einer internationalen Wirtschaftskonferenz in Genua im April/Mai 1922, zu der neben einer deutschen Delegation erstmalig auch eine sowjetrussische Abordnung eingeladen war, kam es zu Sonderverhandlungen zwischen Russen und Deutschen im benachbarten Rapallo, die am 16. April zu einem Vertragsabschluss führten. In dem Vertrag von Rapallo, der auf deutscher Seite von Reichskanzler Wirth und Reichsaußenminister Rathenau, auf russischer Seite von Außenminister Tschitscherin unterzeichnet wurde, nahmen die beiden Staaten wieder diplomatische Beziehungen auf und verzichteten auf eine Erstattung der durch den Krieg verursachten Kosten und Schäden. Die Westmächte wurden durch diesen überraschenden Vertragsabschluss der deutschen Regierung vor vollendete Tatsachen gestellt und zeigten sich über das eigenmächtige Vorgehen der Deutschen verärgert, zumal der Vertrag ihre eigenen Pläne durchkreuzte. Die deutsche Delegation hat jedoch in Genua deutlich zu machen versucht, dass der Vertrag von ihr nicht dazu benutzt werden würde, West gegen Ost auszuspielen und dadurch die deutsche Position international zu verändern. Innenpolitisch hat der Vertrag zwar eine gewisse Befriedigung darüber ausgelöst, dass die Deutschen begonnen hatten, ihre Handlungsfreiheit zurückzugewinnen, aber die Träume einer Minderheit, dass Deutschland nun eine stärker ostorientierte Politik betreiben und möglicherweise zusammen mit Russland eine Revision der Grenzen gegenüber Polen anstreben würde, zerrannen schnell. Außenminister Rathenau wurde kaum einen Monat später auf der Straße von Angehörigen einer rechtsradikalen, antisemitischen Vereinigung ermordet.

Universal-Lexikon. 2012.