Ọrpheus,
griechisch Orpheus, griechischer Mythos: Sohn des Oiagros (oder des Apoll) und der Muse Kalliope, thrakischer Sänger und Leierspieler, der mit seiner Kunst auch wilde Tiere, Steine und Bäume bezauberte. Durch Gesang und Saitenspiel bewog er die Götter der Unterwelt, ihm seine verstorbene Gemahlin Eurydike zurückzugeben; diese musste jedoch umkehren, als sich Orpheus gegen das Verbot der Götter nach ihr umschaute, bevor sie die Oberwelt erreicht hatten. Orpheus wurde später (nach der vorherrschenden Mythenversion) von thrakischen Frauen zerrissen, als er sich dem Dienst des Dionysos widersetzte; sein Haupt mit der Leier wurde an der Insel Lesbos angeschwemmt, wo es auch ein Orakel des Orpheus gab. Anderen Ausgestaltungen des Mythos zufolge wurde Orpheus unter die Sterne versetzt oder in der Unterwelt mit Eurydike wieder vereint. Spätestens seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. zählte man Orpheus auch zu den Argonauten.
Zu den ältesten Darstellungen des Orpheus gehört die Argonautenmetope des Sikyonierschatzhauses in Delphi (6. Jahrhundert v. Chr.; Delphi, Museum). Auf griechischen Vasen erscheint der Orpheusmythos seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. häufig, v. a. Orpheus' Tod. Wie die barbarischen Thraker seinem Spiel widerstrebend-widerstandslos lauschen, zeigt ein Krater des Orpheusmalers (5. Jahrhundert v. Chr.; Berlin-Charlottenburg, Antikenmuseum). Auf einer Kopie eines verlorenen Reliefs des 5. Jahrhunderts v. Chr. ist die Rückkehr von Orpheus, Eurydike und Hermes aus dem Hades dargestellt. Die römische Kunst bevorzugte thematisch Orpheus unter den Tieren (Wandbilder). Als Präfiguration Christi (Hirte mit Lämmern) und als Symbol des goldenen Zeitalters lebte Orpheus bis ins frühe Mittelalter fort. Auch in der neuzeitlichen Kunst wirkte seine Gestalt weiter (G. Bellini, P. Bruegel der Ältere und der Jüngere, R. Savery, A. Feuerbach, O. Zadkine).
Zu den Hauptquellen späterer literarischer Bearbeitungen zählen Vergils »Georgica« und Ovids »Metamorphosen«. A. Polizianos Drama »Fabula di Orpheo« (1494) ist Grundlage für zahlreiche Opernlibretti, u. a. zu den Opern von I. Peri (»Euridice«, 1600), C. Monteverdi (»Orfeo«, 1607), C. W. Gluck (»Orfeo ed Euridice«, 1762), C. F. Badini/J. Haydn (»L'anima del filosofo ossia Orfeo ed Euridice«, 1791), E. Krenek (»Orpheus und Eurydike«, 1926), D. Milhaud (»Les malheurs d'Orphée«, 1926). Weitere musikalische Bearbeitungen stammen u. a. von F. Liszt (1854, sinfonische Dichtung), J. Offenbach (»Orphée aux enfers«, 1858, Operette), I. Strawinsky (»Orpheus«, 1948, Ballett), P. Henry (»Orphée 53«, 1953, Ballett) und H. W. Henze (»Orpheus«, 1979). Während der Stoff besonders für die Lyrik fruchtbar wurde (P. de Ronsard, Lope de Vega, F. Gómez de Quevedo y Villegas, P. B. Shelley, K. Edschmid, Y. Goll, C. Spitteler, R. M. Rilke, G. Benn, Elisabeth Langgässer, Ingeborg Bachmann u. a.), entstanden mit wenigen Ausnahmen (Lope de Vega, Calderón de la Barca) erst in jüngerer Zeit Dramatisierungen, die den Stoff auf die zeitlose Ebene der Begegnung des Künstlers mit Liebe und Tod transferieren, so u. a. bei J. Cocteau (»Orphée«, 1927; Filmfassung 1950), J. Anouilh (»Eurydice«, 1942), V. de Morais (»Orfeu da conceição«, 1956; verfilmt von M. Camus unter dem Titel »Orfeu negro«, 1959). In T. Williams' Drama »Orpheus descending« (1958) wird der Stoff psychoanalytisch gedeutet.
Universal-Lexikon. 2012.