Minịsterverantwortlichkeit,
die besondere Verantwortlichkeit der Inhaber staatsleitender Ämter (Regierungschef, Minister) für die Verfassungs- und Gesetzmäßigkeit sowie für die politische Zweckmäßigkeit der eigenen Handlungen und Unterlassung sowie für die Handlungen des Staatsoberhauptes, für die der Minister durch Gegenzeichnung die Verantwortung übernommen hat. Die politische Ministerverantwortlichkeit gegenüber dem Parlament fand im konstitutionellen Staat des 19. Jahrhunderts in erster Linie in der von den Abgeordneten unter dem Schutz der Immunität geäußerten öffentlichen Kritik ihren Ausdruck; diese Möglichkeit war durch die Pflicht des Ministers gesichert, auf Verlangen im Parlament zu erscheinen (Zitierrecht) und Anfragen zu beantworten (Interpellationsrecht). Darüber hinaus konnte die Ministerverantwortlichkeit durch Ablehnung von Gesetzes- und Haushaltsvorlagen der Regierung, äußerstenfalls durch ein Missbilligungsvotum geltend gemacht werden. Eine weitere Möglichkeit der Regierungskontrolle entwickelte sich mit dem parlamentarischen Untersuchungsrecht (Enquete-Recht). Zusätzlich kann in Staaten mit parlamentarischem Regierungssystem das Parlament einzelne Minister oder die Regierung durch ein Misstrauensvotum stürzen.
Die verfassungsgerichtliche Ministerverantwortlichkeit bezieht sich nur auf die Verfassungs- und Gesetzmäßigkeit der Handlungen und Unterlassung und kann zur Ministeranklage führen. Die Ministerverantwortlichkeit ist von der allgemeinen straf- und zivilrechtlichen Verantwortung zu unterscheiden. - In der DDR konnte bis zum Systemwandel von 1989/90 von einer Ministerverantwortlichkeit im traditionellen Sinn keine Rede sein, obwohl die Minister von der Volkskammer zu wählen waren und abberufen werden konnten und der Ministerrat der Volkskammer verantwortlich war. Tatsächlich waren die Minister allein gegenüber der SED-Parteiführung politisch verantwortlich. Mit der Bildung einer demokratisch legitimierten Regierung im April 1990 setzte sich die Ministerverantwortlichkeit durch.
In Österreich können die Mitglieder der Bundesregierung wegen schuldhafter Gesetzesverletzung durch Beschluss des Nationalrates beim Verfassungsgerichtshof angeklagt werden (Art. 76 B-VG). Politisch ist die Bundesregierung für ihre Amtsführung sowohl dem Nationalrat als auch dem Bundespräsidenten verantwortlich. Der Nationalrat kann der Bundesregierung oder einzelnen Mitgliedern ohne besondere Gründe das Vertrauen versagen; der Bundespräsident hat dann die Bundesregierung oder den jeweiligen Minister des Amtes zu entheben (Art. 74 B-VG). Der Bundespräsident kann überdies den Bundeskanzler oder die Regierung jederzeit - ohne besondere Gründe und ohne Vorschlag - entlassen (Art. 70 B-VG).
In der Schweiz sind die Mitglieder des Bundesrates (Exekutive) für ihre Amtshandlungen dem National- und Ständerat gegenüber politisch verantwortlich. Die hier gehandhabte politische Verantwortlichkeit findet ihren Ausdruck v. a. in den parlamentarischen Aufsichts- und Kontrollinstrumenten sowie den Interventionsmöglichkeiten. Dem Parlament steht die allgemeine Oberaufsicht über die Regierung zu. Diese wird vornehmlich durch verschiedene ständige Kommissionen, z. B. die Geschäftsprüfungskommission (GPK), ausgeübt.
Die französische Verfassung von 1791 enthielt - zum ersten Male in der Verfassungs-Geschichte - die Ministerverantwortlichkeit. Mit einer Verfassungsänderung vom 28. 10. 1918 wurde sie in die deutsche Reichsverfassung eingefügt. Gemäß der Weimarer Reichsverfassung waren der Reichskanzler und die Reichsminister gegenüber dem Reichspräsidenten und dem Reichstag verantwortlich.
Universal-Lexikon. 2012.