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Künstlerroman
Künstlerroman,
 
Roman, in dem die Figur eines Künstlers im Mittelpunkt steht. Der Künstlerroman setzt mit der Geniezeit des 18. Jahrhunderts ein und ist in der Folge in vielen europäischen Literaturen in den unterschiedlichsten Ausformungen anzutreffen. Als erstes Werk dieser Gattung in Deutschland gilt »Ardinghello und die glückseeligen Inseln« (1787, 2 Bände) von J. J. W. Heinse. Weitere Beispiele sind u. a. Goethes »Wilhelm Meister«, L. Tiecks »Franz Sternbalds Wanderungen« (1798), F. Schlegels »Lucinde« (1799) und Novalis' »Heinrich von Ofterdingen« (herausgegeben 1802). Bevorzugen die Künstlerromane vielfach die Form des biographischen Entwicklungsromans, so wird in der Künstlernovelle meist anhand einer charakteristischen Episode die Künstlerproblematik exemplarisch dargestellt (E. T. A. Hoffmann, »Das Fräulein von Scudéri«, 1819; E. Mörike, »Mozart auf der Reise nach Prag«, 1856). Bedeutende Künstlerromane des 19. Jahrhunderts sind »Maler Nolten« (1832) von Mörike und »Der grüne Heinrich« (1854/55, 4 Bände) von G. Keller. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts zeigt sich in auffällig gesamteuropäischer Tendenz eine deutliche thematische Verengung des Künstlerromans auf Schlüsselerlebnisse des Künstlers beziehungsweise auf dessen Lebenseinstellung, v. a. durch die Akzentuierung des Problems des schöpferischen Selbstverständnisses und durch das Spannungsverhältnis zwischen Ruhm und Erfolglosigkeit. Dabei wird, v. a. für die Zeit bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, die Neigung zu einer Ästhetisierung und Inszenierung künstlerischer Exklusivität um den Preis eines Bindungsverlustes zur Lebenswirklichkeit der Zeit deutlich (A. Gide, »Paludes«, 1895; M. Proust, »Jean Santeuil«, um 1900; T. Mann, »Der Tod in Venedig«, 1913; J. Joyce, »A portrait of the artist as a young man«, 1916, deutsch »Jugendbildnis«; Virginia Woolf, »Jacob's room«, 1922). Diese Elemente erscheinen in der Folgezeit an der Realität des 20. Jahrhunderts gebrochen, das Schicksal von Künstler und Gesellschaft existenziell (T. Mann, »Doktor Faustus«, 1947) oder utopisch (H. Hesse, »Das Glasperlenspiel«, 2 Bände, 1943) miteinander verknüpft. Daneben entstanden eher biographisch-literarisierende Darstellungen (F. Werfel, R. Rolland, W. von Molo) der Lebenswege einzelner Künstler (z. B. Schillers und G. Verdis). Der Künstlerroman wurde auch durch Popularisierung in der Trivial- und Unterhaltungsliteratur einem breiteren Publikum zugänglich gemacht. In neuerer Zeit wurde der Künstlerroman v. a. als Instrument vielschichtiger schriftstellerischer Näherung und des Rollenspiels (D. Kühn, »Ich Wolkenstein«, 1977) oder zur Verortung eigener Standpunkte und als Mittel der (Selbst-)Reflexion (P. Härtling, »Niembsch oder Der Stillstand«, 1964; T. Bernhard, »Frost«, 1963; C. Ransmayr, »Die letzte Welt«, 1988) aufgegriffen.
 
Literatur:
 
R. Noll-Wiemann: Der Künstler im engl. Roman des 19. Jh. (1977);
 H. Marcuse: Der dt. K. (1978);
 
Dt. Künstlernovellen im 19. Jh., hg. v. Jochen Schmidt (1982).

Universal-Lexikon. 2012.