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Genet
Genet
 
[ʒə'nɛ], Jean, französischer Schriftsteller, * Paris 19. 12. 1910, ✝ ebenda 15. 4. 1986. Genet wuchs als nichteheliches Kind bei Pflegeeltern, dann in einer Erziehungsanstalt auf, aus der er jedoch ausbrach. 1929 trat er in die Fremdenlegion ein, desertierte und lebte vagabundierend in verschiedenen Ländern Europas. - Wegen zahlreicher Delikte angeklagt, akzeptierte er bereits als Jugendlicher die gegen ihn vorgebrachten Anklagen als »vouloir être« (So-sein-Wollen) und bekannte sich später bewusst zu seiner gesellschaftlichen Position als Dieb, Bettler, Zuhälter und »Verbrecher« sowie zu seiner Homosexualität. Zu lebenslänglicher Haft verurteilt, wurde er 1948 nach Intervention verschiedener Schriftsteller (darunter J.-P. Sartre und J. Cocteau) begnadigt. Von 1961 an veröffentlichte er nur noch wenig. Politisch stand er u. a. mit der Black Panther Party und mit der PLO in Verbindung.
 
Seine Werke spiegeln seine Erfahrungen als gesellschaftlicher Außenseiter. Die im Gefängnis entstandenen, autobiographisch gefärbten Romane zeigen eine Welt von Gewalt, Anarchie und Kriminalität abseits sozialer und moralischer Normen, in der das Verbrechen mythische Dimension annimmt. Auch in Genets Dramen werden etablierte Wertnormen und hierarchisch aufgebaute gesellschaftliche Strukturen entsprechend reflektiert. Sie geben kein realistisches Abbild der Welt oder einer Gegenwelt, sondern sind häufig in ein imaginäres, rituelles Spiel (im Spiel) eingebunden, das im Ausgreifen in die Wirklichkeit endet. In ihrer stilisierten, wirklichkeitsverfremdenden Form vermitteln Genets Dramen auch keine eigentliche Botschaft, obwohl sie (in der zeremoniellen Darstellung von Konfliktsituationen) politische und sozialkritische Akzente setzen. Genets von Argotismen bis zu lyrisch überhöhter Metaphorik reichende Sprache ist ein kongenialer Ausdruck seiner »Ästhetik des Bösen«.
 
Werke: Lyrik: Poèmes (1948; deutsche Auswahl unter dem Titel: Der zum Tode Verurteilte).
 
Romane: Miracle de la rose (1946; deutsch Wunder der Rose); Pompes funèbres (1947; deutsch Das Totenfest); Notre-Dame des Fleurs (1948; deutsch); Querelle de Brest (1947; deutsch Querelle; verfilmt von R. W. Fassbinder).
 
Dramen: Les bonnes (1948; deutsch Die Zofen); Haute surveillance (1949; deutsch Unter Aufsicht); Le balcon (1956; deutsch Der Balkon); Les nègres (1958; deutsch Die Neger); Les paravents (1961; deutsch Wände überall).
 
Autobiographie: Journal du voleur (1949; deutsch Tagebuch eines Diebes).
 
Essay: Un captif amoureux (herausgegeben 1986).
 
Ausgaben: Œuvres complètes, 5 Bände (Neuausgabe 1979-85).
 
Alle Dramen (13.-16. Tausend 1986).
 
Literatur:
 
W. Kliess: G. (1967);
 O. Aslan: J. G. (Paris 1973);
 H.-G. Brüske: »Verkehrtes Heldentum« u. Absonderung in den Romanen J. G.s (1980);
 W. Ziegler: J. G. - Metaphern der Vergeblichkeit (1981);
 J.-P. Sartre: Saint-Genet, Komödiant u. Märtyrer (a. d. Frz., 1982);
 R. C. u. S. A. Webb: J. G. and his critics. An annotated bibliography, 1943-1980 (Metuchen, N. J., 1982);
 G. Bataille: Die Lit. u. das Böse (a. d. Frz., 1987);
 M. Chevaly: G., 2 Bde. (Marseille 1989);
 E. White: J. G. Biogr. (a. d. Amerikan., 1993).

Universal-Lexikon. 2012.