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Wohlfahrtsökonomik
Wohlfahrts|ökonomik,
 
Wohlfahrts|ökonomie, Wohlfahrtstheorie, Wohlstands|ökonomik, englisch Welfare-Economics [welfeəiːkə'nɔmɪks], wirtschaftstheoretischer Ansatz (Vertreter sind u. a. A. C. Pigou; V. Pareto; P. A. Samuelson; J. R. Hicks; N. Kaldor; Tibor Scitovsky, * 1910), mit dem versucht wird, wirtschaftliche Wohlfahrt im Sinne von Wohlstand zu definieren, Maßstäbe für die Wohlfahrtsmessung zu ermitteln und Bedingungen abzuleiten, die für eine Maximierung der Wohlfahrt erfüllt sein müssen. Dabei erhält der Wohlfahrtsbegriff seinen Inhalt erst durch die Bedürfnisse sowie die Nutzen- und Wertvorstellungen der Wirtschaftssubjekte. Den Grad individueller Wohlfahrt beurteilt somit der Einzelne (Selbstbestimmungskriterium), und die Wohlfahrt einer Gesamtbevölkerung oder Gruppe hängt ausschließlich von der jeweiligen individuellen Wohlfahrt ihrer Mitglieder ab (individualistischer Ansatz). Inhalt und Bestimmungsgründe gesamtwirtschaftlicher Wohlfahrt finden formal in sozialen Wohlfahrtsfunktionen ihren Ausdruck. Eine soziale Wohlfahrtsfunktion stellt die Zusammenfassung aller individuellen Wertschätzungen (Nutzen) bezüglich alternativer Gütermengen und -qualitäten dar, die mathematisch ausgedrückt anzeigen soll, welcher von jeweils zwei Situationen die Gesellschaft den Vorzug gibt. Unter der Annahme der älteren Wohlfahrtsökonomik, dass die individuellen Nutzen kardinal messbar und interpersonell vergleichbar sind, ergibt sich die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt als Summe der Wohlfahrt der Einzelnen. Modelltheoretisch bedeutet dies die Maximierung der sozialen Wohlfahrtsfunktion unter bestimmten Nebenbedingungen und die Ableitung eines Wohlfahrtsoptimums, in dem alle Produktionsfaktoren effizient eingesetzt sind (das Allokationsproblem also gelöst ist) und das höchstmögliche Nutzenniveau der Bevölkerung erreicht ist. Analytische Instrumente dabei sind die Transformationskurve, gesellschaftliche Indifferenzkurven als Ausdruck eines gesellschaftlichen Präferenzsystems (soziale Wohlfahrtsfunktionen) und Kontraktkurven.
 
Nach der neueren Wohlfahrtsökonomik ist nur eine ordinale Nutzenmessung möglich, die die interpersonelle Vergleichbarkeit von Nutzenniveaus ausschließt. Die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt ist deshalb nicht als Summe zu bestimmen, sondern nur nach dem Pareto-Kriterium, wonach sich die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt erhöht, wenn der Nutzen mindestens eines Wirtschaftsobjekts gestiegen ist, gleichzeitig aber kein anderes Wirtschaftssubjekt Nutzeneinbußen hinnehmen muss. Dies bedeutet, dass es verschiedene Pareto-Optima gibt, und zwar für jede Ausgangsverteilung ein anderes. Das Pareto-Optimum hat utopischen Charakter, v. a. deshalb, weil sich nicht alle Bedingungen erfüllen lassen. Daher wurden Theorien des Bestmöglichen (englisch second best) als Hilfskonstruktionen entwickelt und Kompensationskriterien formuliert. So liegt z. B. gemäß dem Kaldor-Hicks-Kriterium eine Wohlfahrtssteigerung auch dann vor, wenn Wirtschaftssubjekte, die Erhöhungen ihres Nutzenniveaus erfahren, in der Lage sind, Nutzenverluste bei anderen Wirtschaftssubjekten auszugleichen.
 
Während die ältere Wohlfahrtsökonomik in ihren Modellanalysen nachweisen konnte, dass eine ideale Marktwirtschaft auch zu einem Wohlfahrtsoptimum führt, herrscht in der neueren Wohlfahrtsökonomik die Auffassung vor, dass ein solches Optimum nur erreicht werden kann, wenn der Staat als Sozialstaat korrigierend in den marktwirtschaftlichen Prozess eingreift (Theorie des »Marktversagens«, z. B. externe Effekte, öffentlicher Güter). Dies führt zu wirtschaftspolitischen Fragestellungen, bei denen versucht wird, gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt als Gesamtheit der angestrebten wirtschaftspolitischen Ziele zu begreifen und Bedingungen für die Erreichung des Wohlfahrtsoptimums abzuleiten. Damit besteht die Aufgabe einer zur Theorie der Wirtschaftspolitik erweiterten Wohlfahrtsökonomik vornehmlich darin, aus gesellschaftlichen Grundwerten wie Freiheit, Gerechtigkeit, Sicherheit und Fortschritt ein möglichst widerspruchsfreies und allgemeines akzeptiertes Zielsystem mit dem Oberziel »Steigerung der Lebensqualität« abzuleiten und Kriterien zur Beurteilung wirtschaftspolitischer Maßnahmen aufzustellen. Allerdings kann bei aller theoretischer Eleganz die Wohlfahrtsökonomik lediglich einen v. a. methodischen Beitrag zur Beantwortung von Fragen der Wirtschaftspolitik leisten.
 
Literatur:
 
B. Külp: W., 2 Bde. (1-21976-84);
 F. Schernikau: Zur Verbindung von Ethik u. Ökonomie am Beispiel der Wohlfahrtstheorie (1992);
 E. Sohmen: Allokationstheorie u. Wirtschaftspolitik (21992);
 F. Schulz-Nieswandt: Zur Theorie der Wohlfahrtspolitik, 2 Bde. (1993);
 H. Schneider: Mikroökonomie. Eine Einf. in die Preis-, Produktions- u. Wohlfahrtstheorie (51995).

Universal-Lexikon. 2012.