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Sozialistengesetz
I
Sozialịstengesetz,
 
Bezeichnung für das nach zwei von Bismarck den Sozialdemokraten zu Unrecht angelasteten Attentaten auf Kaiser Wilhelm I. am 21. 10. 1878 vom Reichstag mit den Stimmen der Konservativen und Nationalliberalen verabschiedete Ausnahmegesetz »gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie«. Es sollte die sozialdemokratische Parteiorganisation im Deutschen Reich durch Versammlungs-, Organisations- und Publikationsverbot, das sich auch auf die Gewerkschaftspresse erstreckte, zerschlagen und ermöglichte darüber hinaus die verschärfte polizeiliche Kontrolle aller Versammlungen sowie das Verbot der öffentlichen Verbreitung von Druckschriften. Die von den Bestimmungen ausgenommene sozialdemokratische Parlamentsfraktion wurde im Wahlkampf behindert. Das Sozialistengesetz war auf zweieinhalb Jahre befristet, wurde aber bis 1890 regelmäßig verlängert.
 
II
Sozialistengesetz
 
Der Zulauf, den Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein und Sozialdemokratische Arbeiterpartei (Sozialdemokratie) seit der Wirtschaftskrise 1873 zu verzeichnen hatten, ihre Vereinigung 1875 zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) und deren sich deutlich steigernde Wahlerfolge bei den Reichstagswahlen 1874 und 1877 beunruhigten die Reichsregierung und die bürgerlichen Parteigruppierungen im Reichstag. Bismarck konnte wegen der kompromissbereiten Haltung Papst Leos XIII. den seit Jahren geführten Kulturkampf gegen die katholische Kirche und den politischen Katholizismus allmählich abbrechen und sich dieser neuen Gefahr einer herannahenden sozialistischen Revolution zuwenden.
 
Als Vorwand für sein Vorgehen gegen die Sozialistische Arbeiterpartei dienten ihm zwei Attentate auf Kaiser Wilhelm I. 1878. Beide Anschläge schlugen fehl, die Attentäter standen auch mit der Sozialdemokratie nicht in Verbindung, dennoch wurde von der Regierung ein Zusammenhang zwischen den Attentaten und den angeblichen sozialdemokratischen Umsturzplänen behauptet.
 
Am 21. Oktober 1878 wurde das Reichsgesetz »wider die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie« erlassen. Die sozialdemokratischen und sozialistischen Vereine wurden verboten, ebenso Veranstaltungen, Umzüge, Feste und Versammlungen, ihre Zeitungen mussten ihr Erscheinen einstellen. Personen, die die Ordnung gefährdeten, konnten ausgewiesen oder ins Gefängnis geworfen werden. Mit dem Sozialistengesetz sollten sowohl die Parteiorganisation als auch die Gewerkschaften zerschlagen werden. Das Gesetz wurde im Reichstag mit den Stimmen der Konservativen und Nationalliberalen angenommen, während das Zentrum, die Fortschrittspartei und die Fraktion der Sozialdemokraten gegen die Annahme stimmten. Es wurde gegen den Wunsch der Regierung auf zweieinhalb Jahre befristet, aber regelmäßig bis 1890 verlängert, ab 1880 auch mit den Stimmen von Teilen des Zentrums.
 
Trotz aller Verbote und Verhaftungen, Verurteilungen und Ausweisungen waren die Organisationen der Partei und der Gewerkschaften mit dem Gesetz nicht mehr zu zerstören. Die Solidarität der Arbeiter führte zu einem Anwachsen der Partei von 1878 bis 1890 von 415 000 auf 1 427 000 Wähler. 1912 wurde die SPD mit 110 Abgeordneten zur stärksten Fraktion im Reichstag.
 
Ab 1890 wurde das Sozialistengesetz nicht mehr verlängert. Es verhinderte nachdrücklich die seinerzeit von Ferdinand Lassalle angestrebte Versöhnung zwischen der Arbeiterschaft und dem Staat. In seinen Nachwirkungen hielt es die Integration der Sozialdemokraten in die bürgerliche Gesellschaft am Ende des Jahrhunderts auf.
 

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So|zi|a|lịs|ten|ge|setz, das (hist.): unter Bismarck verabschiedetes Gesetz, das Sozialdemokraten u. Gewerkschaften in ihrer Arbeit stark behinderte u. benachteiligte: 100 Schreiner, 80 Schneider und 40 Schuster, die hatten nur einen lokalen Hilfskassenverein gegründet, ... nun aber setzte man sie unter Anklage wegen Verstoßes gegen die -e (Kühn, Zeit 94).

Universal-Lexikon. 2012.