nicht|euklidische Geometrie,
Sammelbezeichnung für solche Geometrien, die sich von der euklidischen Geometrie im Wesentlichen nur dadurch unterscheiden, dass in ihnen das Parallelenaxiom nicht gilt. Man unterscheidet die hyperbolische und die elliptische nichteuklidische Geometrie.
In der hyperbolischen Geometrie wird das Parallelenaxiom ersetzt durch die Formulierung: »Zu jedem Punkt P und jeder Geraden g, die den Punkt P nicht enthält, gibt es mindestens zwei Parallelen durch P zu g«. Man kann zeigen, dass es unter dieser Voraussetzung sogar unendlich viele Parallelen durch P zu g gibt. Ein euklidisches Modell der hyperbolischen Geometrie lässt sich so beschreiben: Man betrachte einen Kreis in der euklidischen Ebene, dessen innere Punkte die Punkte der hyperbolischen Geometrie sein sollen. Als Geraden gelten die Sekanten des Grundkreises; eine Metrik lässt sich mithilfe des Doppelverhältnisses definieren. Die Verhältnisse der hyperbolischen Geometrie lassen sich auch mithilfe einer Fläche konstanter negativer Krümmung, der Pseudosphäre, veranschaulichen. In allen Formen der hyperbolischen Geometrie gilt, dass die Winkelsumme im Dreieck kleiner ist als 180º.
In der elliptischen Geometrie wird das Parallelenaxiom ersetzt durch die Aussage: »Ist P ein Punkt, der nicht auf der Geraden g liegt, so gibt es keine Gerade, die durch P geht und die g nicht schneidet«. In der elliptischen Geometrie gibt es also überhaupt keine Parallelen. Allerdings erzwingt diese Tatsache eine Abänderung der Anordnungsaxiome. Ein Modell der elliptischen Geometrie ergibt sich aus der Kugeloberfläche, wenn man auf dieser Diametralpunkte miteinander identifiziert (man erhält dann die projektive Ebene). Die Punkte der elliptischen Geometrie sind diametrale Punktepaare der Kugeloberfläche, ihre Geraden sind die Großkreise der Kugel. Da sich zwei beliebige Großkreise stets in einem Paar von Diametralpunkten schneiden, also in einem Punkt der elliptischen Geometrie, gibt es hier in der Tat keine Parallelen. Die Verhältnisse der elliptischen Geometrie lassen sich auch auf einer Fläche mit konstanter positiver Krümmung (eine solche Fläche ist notwendigerweise homöomorph zur Kugeloberfläche) realisieren. In der elliptischen Geometrie ist die Winkelsumme im Dreieck stets größer als 180º.
Bereits in der Antike wurde das Parallelenaxiom, wie es sich bei Euklid findet, eingehend untersucht. Es wurde diskutiert, ob die euklidische Formulierung nicht durch plausiblere zu ersetzen sei, andererseits versuchte man, das Parallelenaxiom als Folgerung aus den anderen Axiomen zu erweisen (Ptolemäus, Proklos). Letzteres versuchten auch die Araber (Nirisi). In der Neuzeit finden sich Bemühungen zu zeigen, dass aus der Negation des Parallelenaxioms notwendig Widersprüche folgen und dass deshalb das Parallelenaxiom selbst wahr sein müsse, so bei G. Saccheri, J. H. Lambert und A.-M. Legendre. Die Einsicht, dass sich auch mit der Negation des Parallelenaxioms widerspruchsfreie Geometrien aufbauen lassen, wurde unabhängig voneinander von C. F. Gauss, J. Bolyai und N. I. Lobatschewskij gefasst. Die erste Veröffentlichung von Lobatschewskij erfolgte 1829, die von Bolyai 1830; Gauss beschränkte sich auf briefliche Mitteilungen zu diesem Thema. Die nichteuklidischen Geometrien vermochten sich nur langsam durchzusetzen. Eine wichtige Rolle dabei spielten die Modelle, die nach 1860 von verschiedenen Mathematikern (E. Beltrami, A. Cayley, F. Klein, H. Poincaré) entdeckt wurden. Diese zeigten einerseits, dass die nichteuklidischen Geometrien widerspruchsfrei sind, wenn die euklidische Geometrie das ist, und andererseits, dass die nichteuklidischen Geometrien einer Veranschaulichung fähig sind, was ihren erkenntnistheoretischen Status aufwertete. Die von B. Riemann angegebenen Verallgemeinerungen der nichteuklidischen Geometrien (Riemann-Geometrie) und deren Verwendung durch A. Einstein in der allgemeinen Relativitätstheorie haben die nichteuklidischen Geometrien im 20. Jahrhundert weiter gefördert, zugleich aber das Schwergewicht geometrischer Untersuchungen auf noch allgemeinere, stärker von der euklidischen Geometrie abweichende Geometrien verlagert, als es die nichteuklidischen Geometrien sind.
Die Theorie der Parallellinien von Euklid bis auf Gauss. Eine Urkundensammlung zur Vorgesch. der n. G., hg. v. P. Staeckel u. F. Engel (1895, Nachdr. New York 1968);
R. Bonola: Die n. G. (a. d. Ital., 31921);
I. Tóth: Die nicht-euklid. Geometrie in der Phänomenologie des Geistes. Wissenschaftstheoret. Betrachtungen zur Entwicklungsgesch. der Mathematik (1972);
Universal-Lexikon. 2012.