Lagrange
[la'grãʒ],
1) Joseph Louis de, eigentlich Giuseppe Ludovico Lagrangia [-'grandʒa], französischer Mathematiker und Physiker italienischer Herkunft, * Turin 25. 1. 1736, ✝ Paris 10. 4. 1813. Erste Arbeiten zur Differenzialrechnung teilte Lagrange 1754 brieflich L. Euler und G. Fagnano di Fagnani mit. Ein Jahr später gelang es ihm, der von Euler entwickelten Variationsrechnung durch geschickte Formalisierung ihre bis heute übliche Gestalt zu geben. Im selben Jahr wurde Lagrange zum Professor an der Artillerieschule in Turin ernannt. 1757 war er Mitbegründer der dortigen Akademie der Wissenschaften, deren »Miscellanea Taurinensea« zu einem wichtigen wissenschaftlichen Forum wurden. In den ersten drei Bänden erschienen v. a. Arbeiten von Lagrange, u. a. zur Mechanik (Anwendung der Variationsrechnung zur Gewinnung der Bewegungsgleichungen), zur Himmelsmechanik (Bewegungen von Saturn und Jupiter), zum Problem der schwingenden Saite und zur Wahrscheinlichkeitsrechnung.
1766 wurde Lagrange auf Empfehlung von J. le Rond d'Alembert Nachfolger Eulers als Direktor der mathematischen Klasse der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Als bedeutendste Leistung der Berliner Zeit gelten Lagranges Untersuchungen zur Auflösbarkeit von ganzrationalen Gleichungen, die wichtige Vorarbeiten für die Galois-Theorie enthielten.
Lagrange lehrte 1787-90 an der Pariser Akademie, danach war er Mitglied des Komitees für Erfindungen und für das Münzwesen und des Bureau des Longitudes (1795). 1794 wurde er Professor an der École Normale Supérieure, 1795 an der späteren École Polytechnique. In Paris widmete sich Lagrange ferner der Herausgabe von Lehrbüchern der Analysis, die die Mathematiker des 19. Jahrhunderts stark beeinflussten. Als bedeutendstes Werk dieser Zeit gilt das unter Mithilfe von A. M. Legendre entstandene klassische Lehrwerk »Mécanique analytique« (1788; deutsch »Analytische Mechanik«) zur Mechanik und Himmelsmechanik.
Weitere Werke: Théorie des fonctions analytiques (1797; deutsch Theorie der analytischen Functionen); Leçons sur le calcul des fonctions (1804).
Ausgaben: Œuvres, herausgegeben von J.-A. Serret, 14 Bände (1867-92).
Zusätze zu Eulers Elementen der Algebra (1898); Abhandlung zur Variations-Rechnung, herausgegeben von P. Stäckel (1921).
F. Burzio: L. (Turin 1942);
J. Itard in: Dictionary of scientific biography, hg. v. C. C. Gillispie, Bd. 8 (Neuausg. New York 1981).
2) Marie-Joseph, eigentlich Albert Lagrange, französischer katholischer Theologe, * Bourg-en-Bresse 7. 3. 1855, ✝ Saint Maximin-la-Sainte-Baume (Département Var) 10. 3. 1938; ursprünglich Jurist, trat 1879 in den Dominikanerorden ein und studierte in Salamanca Theologie; ab 1888 orientalistische Studien in Wien. 1890 gründete er im Auftrag seines Ordens die École biblique in Jerusalem, deren Leiter er bis 1923 und 1931-35 war. Dort entwickelte er schon in den ersten Jahren ein - bis dahin in der katholischen Kirche unbekanntes - wissenschaftliches Programm, das neben der Textexegese sprachwissenschaftliche, geographische, historische und archäologische Forschungen umfasste sowie die v. a. in der evangelischen Bibelwissenschaft etablierte historische Methode zugrunde legte. Nach dem Tod Papst Leos XIII., der Lagrange noch in die päpstliche Bibelkommission berufen hatte, war Lagrange zunehmend Anfeindungen antimodernistischer Kreise ausgesetzt, konnte seine Lehrtätigkeit jedoch fortsetzen.
Werke: La méthode historique (1903); Évangile selon Saint Marc (1911); Saint Paul. Épître aux Romains (1916); Saint Paul. Épître aux Galates (1918); Évangile selon Saint Luc (1921); Évangile selon Saint Matthieu (1923); Évangile selon Saint Jean (1925); L'évangile de Jésus-Christ (1928); Le Judaïsme avant Jésus Christ (1931); Introduction à l'étude du Nouveau Testament, 3 Bände (1933-37).
A. Paretsky: M.-J. L.'s contribution to Catholic Biblical studies, in: Angelicum, Jg. 63 (Rom 1986).
Universal-Lexikon. 2012.