Akademik

Bolzano
I
Bolzano,
 
italienischer Name von Bozen.
 
II
Bolzano,
 
Bernhard oder Bernard, Religionswissenschaftler, Philosoph und Mathematiker, * Prag 5. 10. 1781, ✝ ebenda 18. 12. 1848; wurde 1805 Priester und Professor für philosophische Religionslehre in Prag; Führer der »Böhmischen Aufklärung«, die ein vernunftorientiertes Verständnis des Katholizismus und soziale Reformen anstrebte; 1819 Amtsenthebung wegen dieser angeblichen Irrlehren. Während seine Religionsphilosophie in der Tradition des Josephinismus steht, war Bolzano neben C. S. Peirce und G. Frege der wichtigste Vertreter der Logik im 19. Jahrhundert. Er gründete, von G. W. Leibniz beeinflusst, in seiner »Wissenschaftslehre« (1837, 4 Bände, Nachdruck 1970; Auswahl, herausgegeben von F. Kambartel, 2 Bände, 1963) die Logik auf die strenge Unterscheidung zwischen den psychologischen Vorgängen des Urteilens und Für-wahr-Haltens und den im logischen Urteil intendierten ideellen Gegenständen (den Sätzen, Vorstellungen und Wahrheiten, die »an sich«, das heißt unabhängig von ihrem Gedacht- oder Erkanntwerden bestehen). Bolzano übte damit starke Wirkung auf F. Brentano und auf E. Husserl und dessen Phänomenologie aus. Auch die moderne Logik nimmt auf Bolzano Bezug (z. B. Begriff der Ableitbarkeit in der Beweistheorie). In der Moralphilosophie vertrat Bolzano gegen I. Kant, dessen kategorischer Imperativ es nicht gestatte, materiale Normen zu begründen, ein Glückseligkeitsprinzip (Wohl des Ganzen als Ziel allen Handelns). Sie gehört für Bolzano zur Religionsphilosophie. - In der sozialistisch orientierten Utopie »Von dem besten Staate« (1837) sprach sich Bolzano für ein weitgehendes Gleichheitsprinzip aus und kritisierte das Eigentum, das nicht über ein angemessenes Arbeitsentgelt gewonnen wird. - In der Mathematik bemühte sich Bolzano um strenge Begründungen und Beweisführungen. Mit seiner Analyse des Stetigkeits- und Differenzierbarkeitsbegriffs und seinen Untersuchungen von Konvergenzfragen trug er wesentlich zur Entwicklung der Analysis bei. In seinem mathematischen Hauptwerk »Paradoxien des Unendlichen« (herausgegeben 1851, Nachdruck 1955) nahm er grundlegende Begriffsbildungen und Aussagen der Mengenlehre und der mathematischen Logik vorweg.
 
Weitere Werke: Erbauungsreden für Akademiker (1813); Athanasia oder Gründe für die Unsterblichkeit der Seele (1827); Lehrbuch der Religionswissenschaften, 3 Teile in 4 Bänden (1934); Lebensbeschreibung des Dr. B. Bolzano (1836); Was ist Philosophie? (1849); Paradoxien der Politik, herausgegeben von W. Stähler (1933; darin: Von dem besten Staate).
 
Ausgabe: B.-Bolzano-Gesamtausgabe, herausgegeben von E. Winter u. a., auf 50 Bände berechnet (1969 folgende).
 
Literatur:
 
E. Winter: Leben u. geistige Entwicklung des Sozialethikers u. Mathematikers Bernard B. 1781-1848 (1949);
 G. Buhl: Ableitbarkeit u. Abfolge in der Wiss.-Theorie B.s (1961);
 J. Berg: B.'s logic (Stockholm 1962);
 A. Kolman: Bernard B. (a. d. Russ., 1963);
 E. Winter u. a.: Bernard B., ein Denker u. Erzieher im österr. Vormärz (Graz 1967);
 E. Herrmann: Der religionsphilosoph. Standpunkt Bernard B.s unter Berücksichtigung seiner Semantik, Wiss.-Theorie u. Moralphilosophie (Lund 1977);
 S. Dähnhardt: Wahrheit u. Satz an sich. Zum Verhältnis des Logischen zum Psychischen u. Sprachlichen in Bernard B.s Wiss.lehre (1992).
 

Universal-Lexikon. 2012.