Ora|kel 〈n. 13〉
1. Weissagungsstätte
2. Schicksalsspruch, Zukunftsdeutung, Wahrsagung
3. rätselhafter Ausspruch
[<lat. oraculum]
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Ora|kel, das; -s, - [lat. oraculum, eigtl. = Sprechstätte, zu: orare = beten; sprechen]:
a) Stätte (bes. im alten Griechenland), wo bestimmte Personen (Priester, Seherinnen) Weissagungen verkündeten od. [rätselhafte, mehrdeutige] Aussagen über etw. machten:
das O. von Delphi;
das, ein O. befragen;
b) durch das Orakel (a) erhaltene Weissagung, [rätselhafte, mehrdeutige] Aussage über etw.:
das O. erfüllte sich;
ein O. deuten, falsch auslegen;
Ü in -n (Rätseln, dunklen Andeutungen) sprechen.
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Orakel
[lateinisch oraculum, eigentlich »Sprechstätte«, zu orare »beten«, »sprechen«] das, -s/-, Zukunftsdeutung, Kündung oder Erforschung des Unbekannten allgemeiner Art und einzelner Vorkommnisse. In nahezu allen Kulturen haben Orakel eine wichtige Rolle gespielt. Die Zukunft soll entschleiert, Verborgenes aufgedeckt, die rechte Handlungsweise in unsicheren Situationen erkundet werden. Durch Deuten zufälliger Zeichen oder durch ihr zielgerichtetes Aufdecken offenbaren sich Dinge der unbelebten und der belebten Natur (Naturereignisse und -gegebenheiten, Minerale, Tier- und Pflanzenwelt) in ihrer Beziehung zum menschlichen Schicksal.
Die Orakel des deutschen Volksglaubens sind germanischen und antiken Ursprungs und zeigen in allen Kulturbereichen eine hartnäckige Lebensdauer. Bestimmte Jahreszeiten (Weihnachts-, Neujahrs- und Andreastag), Übergangsriten (Geburt, Hochzeit, Tod) und Tagesabschnitte (Sonnenaufgang und -untergang, Mitternachtsstunde) sind von besonderer Bedeutung. Im Alten Testament begegnet als technisches Orakel das Werfen der heiligen Lose (Urim und Tummim), das eine mit »Ja« oder »Nein« zu beantwortende Frage voraussetzt (1. Samuel 14, 41 ff.); »den Herrn aufsuchen« bedeutet, dass um ein Orakel, durch Vermittlung des Mose, der allein im Zelt mit Gott redet, gebeten wird (Exodus 33, 7). Die Hauptformen des Orakels sind vom orientalischen Orakelwesen (zuerst in Mesopotamien, wo man, abgesehen von Losorakeln, Öl- und Rauchverbreitung sowie Vogelflug auslegte) beeinflusst worden, auch vom Schulterblattwahrsagen (»Scapulimantia«) nomadischer Völker Innerasiens.
In China wurden aus der Zeit der Shangdynastie, besonders aus dem 16.-14. Jahrhundert v. Chr., mehr als 100 000 beschriftete Orakelknochen (zum Teil Fragmente) geborgen (u. a. bei Anyang). Man brachte an bestimmten Stellen der Schulterblattknochen (meist vom Rind) oder der unteren Panzerhälfte einer Schildkrötenart je eine Vertiefung und eine Kerbe an, durch Hitzeeinwirkungen entstanden hier ein Quer- und ein Längsriss, deren Verlauf zur Divination herangezogen wurde; der Bescheid wurde als Orakel der Ahnen des Shangherrschers verkündet. Die Beschriftungen umfassten den Namen des Orakelpriesters, das Datum, die oft in Alternativform gestellte Frage, die Antwort sowie eine Notiz über das Eintreffen des Orakels (oft nicht vollständig). Orakelknochen fanden sich auch aus der Longshankultur.
In Ägypten reichen wohl die Orakel der heiligen Stiere in Heliopolis (Mnevisstier des Atum) und Memphis (Apisstier des Ptah) bis in die Frühzeit zurück. Bei Prozessionen erfolgten Antworten durch Bewegungen des heiligen Tieres, des Götterbilds oder der Barke, die dieses trug. Auch das Brettspiel diente ursprünglich wohl dem Orakel. Häufig wurden der Gottheit schriftliche Fragen in Alternativform gestellt, die der Priester bejahte oder verneinte. Gelegentlich wurden juristische Fragen, Amtseinsetzungen oder sogar dynastische Nachfolgefragen durch Orakel mitentschieden.
Im griechisch-römischen Altertum wurden beim Orakel von Dodona meteorologische Observationen herangezogen. Man bediente sich des Losorakels, der Inspirationsmantik und der Chiromantie, der Zeichenorakel: Beobachten des Vogelverhaltens und -fluges (Auspizien), Deuten von Tiereingeweiden (die für ihre Orakel berühmten Etrusker pflegten besonders die Leberschau) und Opferflammen, der Traumdeutung und der Quellenschau (»Lekanomantie«). In den griechischen Mythen spielen Orakel eine herausragende Rolle (Ödipus, Orest).
Die Orakelstätte war im Altertum ein an ein religiöses Zentrum gebundener heiliger Ort, an dem in festgelegten Formeln mantische Weissagung stattfand, wobei die einzelnen Einrichtungen je nach Typus des Orakels stark differierten. Folgenreich war die Unterscheidung zwischen inspiriertem Medium (Seher, Pythia), Deutern und Vermittlern (Priesterschaft); je nach Geschick der Priesterschaft erlangten die Orakelstätten auch große rechtliche und politische Bedeutung. Wichtige antike Orakelstätten waren: Dodona, Olympia, Delphi, Klaros bei Kolophon, Didyma, in hellenistischer und römischer Zeit auch die Orakelstätte des Ammon in der Oase Siwa der Libyschen Wüste.
Unter den Orakelsammlungen sind die »sibyllinischen Bücher« (nach der Legende vom römischen König Tarquinius erworben) die bedeutendsten; sie wurden wohl zu Beginn des 5. Jahrhunderts v. Chr. in Rom eingeführt und waren in der römischen Religionsgeschichte von großem Einfluss. Die erhaltenen »Oracula Sibyllina« sind jüdisch-christlichen Ursprungs. (Mantik, Wahrsagen, Weissagung)
E. Doehler: Die O. (1872);
K. Buresch: Klaros. Unters. zum O.-Wesen des späteren Altertums (1889, Nachdr. 1973);
Sibyllin. Weissagungen, übers. v. A. Kurfess (1951);
M. Eliade: Schamanismus u. archaische Ekstasetechnik (Neuausg. 81994).
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Weissagungen und Zukunftsvisionen
Chinas frühe Hochkultur
griechische Spiele und Orakelstätten
Delphi: Das heilige Orakel
Priester, Seher und Orakel im antiken Griechenland
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Ora|kel, das; -s, - [lat. oraculum, eigtl. = Sprechstätte, zu: orare = beten; sprechen]: a) Stätte (bes. im alten Griechenland), wo bestimmte Personen (Priester, Seherinnen) Weissagungen verkündeten od. [rätselhafte, mehrdeutige] Aussagen über etw. machten: das O. von Delphi; das, ein O. befragen; Ü das O. Montesquieu (bildungsspr. veraltend; Montesquieu als Autorität, deren Rat, Urteil sich jmd. unterwirft); b) durch das ↑Orakel (a) erhaltene Weissagung, [rätselhafte, mehrdeutige] Aussage über etw.: das O. erfüllte sich; ein O. deuten, falsch auslegen; Es ist eigenartig, wie tolerant wir den -n unserer Wissenschaften gegenüber geworden sind (Weltwoche 26. 7. 84, 19); Ü was sie sagte, war ein O. für mich (war rätselhaft u. schwer zu deuten); in -n (Rätseln, dunklen Andeutungen) sprechen.
Universal-Lexikon. 2012.