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Tschistka
Tschịstka
 
[russisch čistka »Säuberung«], Bezeichnung für die Entfernung politisch verdächtiger oder missliebiger Personen in der Sowjetunion (Gegner des Gesellschafts- und Regierungssystems, innenparteilicher Kritiker). Die Tschistka war eine in unregelmäßigen Abständen wiederholte Form der politischen Säuberung im sowjetischen Partei- und Staatsgefüge; sie wurde offiziell 1939 abgeschafft.
 
Die Große Tschistka (1935-39) war die umfassendste Säuberung unter der Herrschaft Stalins mit schwerwiegenden Folgen für die Entwicklung der Sowjetunion. Ausgelöst durch die Ermordung von S. M. Kirow am 1. 12. 1934, erreichte sie zwischen 1936 und 1938 ihren Höhepunkt. Sie erstreckte sich auf alle Ebenen des Partei-, Staats-, Wirtschafts- und Kulturapparats und ergriff auch die Rote Armee. Darüber hinaus betraf sie die in der Sowjetunion lebenden ausländischen Kommunisten. Gestützt auf NKWD und Staatsanwaltschaft (A. Wyschinskij), ließ Stalin unter mannigfaltigen Beschuldigungen (konspirative Tätigkeit, besonders Zusammenarbeit mit dem verfemten L. D. Trotzkij, Hochverrat, Spionage, Attentatspläne gegen Stalin u. a., Wirtschaftssabotage, Wiederherstellung der »bürgerlich-kapitalistischen Ordnung«) nicht nur seine ehemaligen innenparteilichen Gegner, sondern auch eine sehr große Zahl von Parteimitgliedern und Sowjetbürgern verhaften, wobei die im Klima von Angst, wachsendem Terror und Rivalität blühende Denunziation innerhalb der Bevölkerung gezielt instrumentalisiert wurde. Während man die Masse der meist willkürlich Beschuldigten auf administrativem Wege verurteilte, ließ Stalin seine Konkurrenten aus der Zeit der innenparteilichen Machtkämpfe (u. a. G. J. Sinowjew, L. B. Kamenew, K. B. Radek, N. I. Bucharin, A. I. Rykow) in Schauprozessen verurteilen (viele von ihnen zum Tode). 1937/38 wurde die Führung der Roten Armee, darunter ein großer Teil der höheren Offiziere und der größte Teil der Generalität, in Geheimprozessen verurteilt und hingerichtet (u. a. M. N. Tuchatschewskij).
 
In der Großen Tschistka ging die Mitgliederzahl der KPdSU (B) von (1933) 3,6 Mio. auf (1938) 1,9 Mio. zurück. Diese Entwicklung schloss die Liquidierung der Alt-Bolschewiki ein. Von den 1934 gewählten 140 Mitgliedern des ZK der KPdSU (B) gehörten 1937 nur noch 15 diesem Gremium an. 1936-38 waren rd. 5 % der damaligen Gesamtbevölkerung der Sowjetunion in Gefängnissen des NKWD inhaftiert. In Nordrussland und Sibirien entstand ein Netz von Straflagern mit Millionen von Insassen (GULAG).
 
Die Große Tschistka war Bestandteil der 1928-29 eingeleiteten »Revolution von oben«. Sie wurde ideologisch begründet mit der These von der »Verschärfung des Klassenkampfes bei fortschreitendem Aufbau des Sozialismus« in der Sowjetunion (Stalinismus) und war der letzte Schritt Stalins auf dem Wege zur Alleinherrschaft. Die Große Tschistka ersetzte die alte revolutionäre Führungsschicht durch die technische Intelligenz und Apparatschiks, die Stalin ganz ergeben waren.
 
Literatur:
 
R. Conquest: Der Große Terror. Sowjetunion 1934-1938 (a. d. Engl., 1992).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Sowjetunion: Stalinistischer Staat und Stalins persönliche Diktatur
 

Universal-Lexikon. 2012.