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Stendhal
Stendhal
 
[stɛ̃'dal], eigentlich Marie Henri Beyle [bɛl], französischer Schriftsteller, * Grenoble 23. 1. 1783, ✝ Paris 23. 3. 1842; stand 1800-14 mit Unterbrechung im Dienst Napoleons I. (1806-08 Intendant in Braunschweig, Teilnahme am Russischen Feldzug von 1812), lebte nach dem Ende des Kaiserreichs bis 1821 in Mailand, nach der Ausweisung durch die österreichischen Behörden als freier Autor in Paris, war (nach der Julirevolution) ab 1831 Konsul in Civitavecchia.
 
Stendhals umfangreiches literarisches Werk umfasst Essays, Reiseberichte, Tagebücher (geführt 1801-42), Romane und Novellen. Es spiegelt vielfältig seine Liebe zu Italien und sein Interesse für die italienische Geschichte wider (u. a. »Histoire de la peinture en Italie«, 2 Bände, 1817, deutsch »Geschichte der Malerei in Italien«; »Rome, Naples et Florence en 1817«, 1817, deutsch u. a. »Reise in Italien«; »Vie de Rossini«, 2 Bände, 1823, deutsch »Das Leben Rossinis«; »Promenades dans Rome«, 2 Bände, 1829, deutsch »Römische Spaziergänge«). In seiner Ästhetik tief vom Sensualismus des 18. Jahrhunderts geprägt, beeinflusste er mit den Essays »Racine et Shakespeare« (2 Bände, 1823-25; deutsch »Racine und Shakespeare«) die Literaturdebatte um die Durchsetzung moderner (romantischer) Positionen, ohne jemals zum Kreis der französischen Romantiker zu gehören. Er entwickelte eine besondere Art, philosophischen Diskurs, psychologische Beobachtung und Selbstbeobachtung zu verbinden, erstmals in dem großen essayistischen Werk »De l'amour« (2 Bände, 1822; deutsch u. a. »Über die Liebe«), das allerdings von den Zeitgenossen kaum wahrgenommen wurde. Ein Jahrzehnt später, in den »Souvenirs d'égotisme« (entstanden 1832, herausgegeben 1892; deutsch u. a. »Bekenntnisse eines Egotisten«) knüpfte er an diese Texte an, deren Anlass eine unerwiderte Liebe war; die Selbstanalyse ist nun unerbittlich scharf geworden. Nüchterne Sezierung des Innenlebens der Figuren, die in chronikalische Erzählweise und genaue Gesellschaftsschilderung eingebettet ist, sowie sachlicher Stil (sein Vorbild war die Sprache des »Code civil«) kennzeichnen die Romane und Novellen Stendhals. Die schrankenlos individualistischen Charaktere setzen ihre intellektuelle Überlegenheit ein, um in einer Welt der Mittelmäßigkeit ihr Glück zu erzwingen und scheitern schließlich an sich selbst, wie Julien Sorel in »Le rouge et le noir« (2 Bände, 1830; deutsch »Rot und Schwarz«), Stendhals berühmtestem Roman, ähnlich Fabrice del Dongo in »La chartreuse de Parme« (2 Bände, 1839; deutsch »Die Kartause von Parma«). Stendhals belletristisches Werk trägt wenig fiktionale Züge, als stoffliche Grundlage nutzte er Chroniken (so in den Novellen »Chroniques italiennes«, vollständig herausgegeben 1855; deutsch »Italienische Chroniken«), auch Texte anderer Autoren (so in »Armance«, 1827, deutsch, der psychologischen Studie einer unerfüllten Liebe, und in dem unvollendet gebliebenen Roman »Lucien Leuwen«, 1835, deutsch »Lucian Leuwen«), eigenes Erleben in dem autobiographischen Roman »Vie de Henry Brulard« (entstanden 1835/36, herausgegeben 1890; deutsch »Das Leben des Henry Brulard«), einen Bericht über einen Kriminalfall in »Le rouge et le noir«. In den Werken mit zeitgeschichtlichem Hintergrund spiegelt sich die Bewunderung Stendhals für Napoleon (politische Biographie »Mémoires sur Napoléon«, 1837; deutsch »Denkschrift über Napoleon«) wider.
 
Im zeitgenössischen literarischen Leben Frankreichs spielte Stendhal nur eine untergeordnete Rolle, nur der »Chartreuse de Parme« widmete H. de Balzac eine begeisterte Rezension. Stendhal selbst strebte nicht nach Anerkennung eines großen Publikums. Als herausragender Romancier und Schilderer subtilster seelischer Regungen, die dem Lebensgefühl des Fin de Siècle entsprachen, wurde er von H. Taine und F. Nietzsche entdeckt.
 
Weitere Werke: Lettres écrites de Vienne en Autriche. .. (1814, ab 1817 unter dem Titel Lettres sur les vies de Haydn, de Mozart et de Métastase); Mémoires d'un touriste, 2 Bände (1838; deutsch Erinnerungen eines Touristen); Lamiel (Romanfragment, entstanden 1839/40, herausgegeben 1889; deutsch).
 
Ausgaben: Correspondance, herausgegeben von H. Martineau und anderen, 3 Bände (1962-68); Romans et nouvelles, herausgegeben von demselben, 2 Bände (Neuausgabe 1994-95); Œuvres complètes, herausgegeben von V. Del Litto u. a., 50 Bände (1968-74, Nachdruck 1986); Voyages en Italie, herausgegeben von demselben (1973); Œuvres intimes, herausgegeben von demselben, 2 Bände (1981/82); Voyages en France, herausgegeben von demselben (1992); Chroniques pour l'Angleterre, herausgegeben von K. G. McWatters, 6 Teile (1980-88).
 
Ausgewählte Werke, herausgegeben von F. von Oppeln-Bronikowski, 8 Bände (1-21903-08); Gesammelte Werke, herausgegeben von F. Blei und anderen, 15 Bände (1921-23); Werke, herausgegeben von C. P. Thiede u. a., 8 Bände (1978-82).
 
Literatur:
 
J. C. Alciatore: S. et Helvétius (Genf 1952);
 V. Del Litto: La vie intellectuelle de S. (Paris 21962);
 H. Martineau: L'œuvre de S., histoire de ses livres et de sa pensée (Neuausg. ebd. 1966);
 J. Prévost: La création chez S. (Neuausg. ebd. 1974);
 P. Berthier: S. et ses peintres italiens (Genf 1977);
 G. Blin: S. et les problèmes du roman (Neuausg. Paris 1978);
 M. Crouzet: S. et le langage (ebd. 1981);
 M. Crouzet: S. ou Monsieur moi-même (ebd. 1990);
 B. Didier: S. autobiographe (ebd.1983);
 H. C. Jacobs: S. u. die Musik (1983);
 F. Rude: S. et la pensée sociale de son temps (Neuausg. Brionne 1983);
 J.-J. Hamm: Le texte stendhalien (Sherbrooke 1986);
 M. Nerlich: S. (1993);
 Franziska Meier: Leben im Zitat. Zur Modernität der Romane S.s (1993);
 
S. Image et texte, hg. v. S. Dümchen u. M. Nerlich (Tübingen 1994);
 A. Wendt-Addhofer: S. u. die Klassik (1995).
 
Bibliographien: V. Del Litto: Bibliographie stendhalienne, 1938 ff. (Grenoble 1945 ff.);
 V. Del Litto: Album S.. .. (Paris 1966);
 H. Martineau: Le calendrier de S. (ebd. 1950).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Stendhal, Balzac, Flaubert: Der Roman als Spiegel der Gesellschaft
 

Universal-Lexikon. 2012.