Sieyès
[sje'jɛs, sjɛs], Emmanuel Joseph Graf (seit 1809), genannt Abbé Sieyès, französischer Revolutionär und Politiker, * Fréjus 3. 5. 1748, ✝ Paris 20. 6. 1836; Geistlicher, wurde 1788 Kanzler der Diözese Chartres. 1788/89 wirkte er durch mehrere Reformschriften auf den Wahlkampf für die Generalstände von 1789, deren Mitglieder er wurde, ein: »Qu'est-ce que le tiers état?« (»Was ist der dritte Stand?«) wurde zur auflagenstärksten und einflussreichsten Flugschrift der Französischen Revolution. Darin forderte er eine Nation gleichberechtigter Bürger und verwarf jedes Standesprivileg. Auf seinen Antrag hin erklärten sich die Vertreter des dritten Standes am 17. 6. 1789 zur Nationalversammlung. 1793 - als Mitglied des Konvents - stimmte Sieyès für den Tod des Königs. Als Mitglied des Direktoriums unterstützte er 1799 den Staatsstreich Napoléon Bonapartes, wurde Konsul, dann aber politisch kaltgestellt. 1815 wurde er als Königsmörder verbannt, lebte bis 1830 in Brüssel und kehrte dann zurück. Als Theoretiker nahm er in seinen Schriften die liberale Repräsentativverfassung des 19. Jahrhunderts vorweg; sein Denken hat v. a. die französische Verfassung von 1791 beeinflusst, die den meisten Verfassungen des 19. Jahrhunderts als Vorbild diente.
Ausgaben: Politische Schriften, herausgegeben von Eberhard Schmitt u. a. (1975); Was ist der dritte Stand?, herausgegeben von O. Dann (1988).
W. H. Sewell: A rhetoric of bourgeois revolution. The Abbé S. and What is the Third Estate? (Durham 1994).
Universal-Lexikon. 2012.