Refọrmjudentum,
im 19. Jahrhundert entstandene Richtung innerhalb des Judentums, die, ausgehend von der Assimilation breiter Schichten, über die Bildungs- und Sozialreformen der jüdischen Aufklärung (Haskala) hinaus religiöse Reformen anstrebte. Seit 1810 wurden in privaten Zirkeln, seit 1817 in einer in Hamburg gegründeten Reformgemeinde (»Hamburger Tempel«) Änderungen im Gottesdienst eingeführt (Kürzung der Liturgie, Gebrauch der Landessprache). Ein Großteil der rituellen Vorschriften wurde als unzeitgemäß abgelehnt, der Inhalt der Offenbarung v. a. in den Prophetenbüchern gesehen. Zu den theologischen Neuerungen, die sich in der Folgezeit abzeichneten, gehörten der Verzicht auf die traditionelle messianische Hoffnung und auf die Bindung an Palästina, eine zunehmende ethische Akzentuierung der Religiosität und die Tendenz zum aufgeklärten Rationalismus. Ab 1841 (Ausbau der Hamburger Tempelgemeinde, Neuausgabe ihres Gebetbuches) weiteten sich die Reformforderungen aus, vorangetrieben auch durch die Praxis der Reformgemeinden in Frankfurt am Main (1842) und Berlin (1845), zum Teil heftig bekämpft von Vertretern des konservativen und orthodoxen Judentums. Führende Vertreter des Reformjudentums waren A. Geiger und Samuel Holdheim (* 1806, ✝ 1860).
V. a. seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts breitete sich die Reformbewegung auch außerhalb Deutschlands aus. In den USA wirkten David Einhorn (* 1809, ✝ 1879) und Samuel Hirsch (* 1815, ✝ 1889); Isaac Mayer Wise (* 1819, ✝ 1900) schuf 1873 als Dachverband die »Union of American Hebrew Congregations« und gründete 1875 in Cincinnati (Ohio) das »Hebrew Union College« (HUC) als Rabbinerausbildungsstätte. Seit 1889 besteht die »Central Conference of American Rabbis« (CCAR). In England gründete Claude Joseph Goldsmid Montefiore (* 1858, ✝ 1938) 1926 die »World Union for Progressive Judaism«.
Unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Herrschaft zerbrach der für weite Teile des Reformjudentums grundlegende Glaube an einen moralischen Fortschritt der Menschheit. Stephen Samuel Wise (* 1876, ✝ 1949) und Abba Hillel Silver (* 1893, ✝ 1963) förderten eine prozionistische Tendenz, und die »Columbus Platform« von 1937 beschloss programmatisch eine Hinwendung zu Tradition und Zionismus. Dieser Trend nahm seit dem Sechstagekrieg (1967) zu und dominiert seit etwa 1977.
W. G. Plaut: The rise of reform Judaism (ebd. 21969);
M. L. Raphael: Profiles in American Judaism (San Francisco, Calif., 1984);
The changing world of reform Judaism, hg. v. W. Jacob (Pittsburgh, Pa., 1985);
Universal-Lexikon. 2012.