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Radikalsozialisten
Radikalsozialisten,
 
Radikalsozialistische Partei, französische Partei, 1901 als Parti Républicain Radical et Radical-Socialiste [par'ti repybli'kɛ̃ radi'kal ɛ radikalsɔsja'list] gegründet. Hervorgegangen aus der Auseinandersetzung mit den gemäßigten Republikanern, bildeten die Radikalsozialisten den weniger kompromissbereiten, stärker auf soziale Öffnung hin orientierten Flügel des bürgerlichen Republikanismus in der Dritten Republik. Ideologisch lehnten sie sich an die jakobinische Tradition der Französischen Revolution an, betonten dabei aber die Notwendigkeit pragmatischer Offenheit. Ihre Mitte-links-Variation des Liberalismus brachte ihnen häufig eine Schlüsselstellung zwischen rechter und linker Mehrheitsbildung ein. Ihre Wähler fanden die Radikalsozialisten vorwiegend unter Kleinbauern, Gewerbetreibenden und Angehörigen des öffentlichen Dienstes; daneben spielten Freiberufler und Unternehmer eine wichtige Rolle. Als Partei waren sie kaum organisiert; der Schwerpunkt der Entscheidungen lag bei den lokalen Parteikomitees einerseits und den Parlamentsabgeordneten andererseits.
 
Nach der Mobilisierung der Anhänger durch die Dreyfusaffäre stiegen sie 1902 zur stärksten Fraktion der Abgeordnetenkammer auf. Mit É. Combes, G. Clemenceau und J. Caillaux stellten sie wiederholt den Ministerpräsidenten. Sie setzten die vollständige Trennung von Kirche und Staat durch (1905), zerstritten sich aber in der Frage des Entgegenkommens gegenüber den Streikbewegungen der Arbeiter.
 
Nach dem Ersten Weltkrieg sank ihr Mandatsanteil unter 25 %, doch blieb ihre parlamentarische Schlüsselstellung erhalten. Wahlsiege mit Unterstützung der Sozialisten ermöglichten es É. Herriot 1924-26 und 1932, Regierungen der linken Mitte zu bilden. 1936 traten die Radikalsozialisten in die Volksfrontregierung unter L. Blum ein; 1937 übernahmen sie mit C. Chautemps selbst deren Leitung. 1938 rückten sie mit É. Daladier wieder nach rechts.
 
Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte ein weiterer Einbruch in den Wählerstamm der Radikalsozialisten. Mit 7-8 % der Stimmen blieben sie aber für die Mehrheitsbildung in der Vierten Republik unentbehrlich. Sie waren in allen Regierungen vertreten und stellten häufig Ministerpräsidenten (u. a. H. Queuille, P. Mendès-France, Faure). Mitte der 50er-Jahre wurde die parteiinterne Auseinandersetzung heftiger; es kam zu Parteiausschlüssen und Neugründungen (u. a. 1956 Sammlungsbewegung der republikanischen Linken unter E. Faure).
 
In der Fünften Republik spielte die Partei unter dem Namen Parti Radical nur noch eine untergeordnete Rolle. Geführt von M. Faure (1961-65, 1969-71) und J.-J. Servan-Schreiber (1971-75, 1977-79), gingen sie in die Opposition. Eine Minderheit schloss sich 1972 als Mouvement des Radicaux de Gauche (MRG) dem Linksbündnis Union de la Gauche an. Die Mehrheit gehört seit 1978 dem Parteienbündnis Union pour la Démocratie Française (UDF) um V. Giscard d'Estaing an.
 
Literatur:
 
J.-T. Nordmann: Histoire des radicaux 1820-1973 (Paris 1974);
 S. Berstein: Histoire du parti radical, 2 Bde. (ebd. 1980-82).

Universal-Lexikon. 2012.