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Persönlichkeitsforschung
Persönlichkeitsforschung,
 
Persönlichkeitspsychologie, ein im Gefolge der Personwissenschaft oder »Personalistik« von W. L. Stern und der »Personology« von H. A. Murray aus der angloamerikanischen Psychologie v. a. seit dem Zweiten Weltkrieg übernommene Disziplin, Teilgebiet der allgemeinen Psychologie. - Die sich nach 1940 abzeichnende neue Phase der Forschung richtete sich auf die Erhellung der dynamischen Zusammenhänge der individuellen Organisation der menschlichen Psyche. Dabei wurden von Psychoanalyse und Tiefenpsychologie (S. Freud, C. G. Jung) erarbeitete Erkenntnisse aufgegriffen, Werdensprozesse und Motivationsverschränkungen der frühen Kindheit behandelt und im Lebenslauf wiederkehrende, typische Verlaufsformen des Verhaltens durch die »biographische Methode« (besonders Charlotte Bühler) hinzugenommen. Anregungen kamen auch aus der sozialpsychologischen Forschung (v. a. in den USA), die das Wesen des Menschen im Zusammenhang mit bestimmten Sozialstrukturen und kulturspezifischen Verhaltensmustern zu erfassen sucht. Auch bot die Psychodiagnostik mit der Anwendung von Tests und Fragebogen eine Fülle neuer Erfahrungsdaten. Sie konnten mithilfe statistischer Techniken (z. B. Korrelationsrechnung, Faktorenanalyse) ausgewertet werden und gestatteten vergleichsweise verlässliche Aussagen.
 
In der Bundesrepublik Deutschland betonten v. a. R. Heiss (1947) und H. Thomae (1951), in den USA G. W. Allport und J. Dollard in Längsschnittbetrachtungen den Prozesscharakter der Persönlichkeit: Sowohl Testergebnisse wie Lebenslaufexplorationen und Selbstzeugnisse (Tagebücher oder Ähnliche) ließen »ein System von langwelligen Vorgängen« (Thomae) erkennen. Sie spiegeln die individuellen Abläufe der wichtigsten Daseinsthemen. - Von der Berliner Gestaltpsychologie ausgehend, hat K. Lewin ein feldtheoretisches Persönlichkeitsmodell (Feldtheorie des Handelns; topologische Psychologie) entworfen. Es soll dem dynamischen Charakter der in Entscheidungssituationen wirksamen inneren und äußeren Kräfte Rechnung tragen.
 
In Zusammenarbeit zwischen Tiefenpsychologen, Ethnologen, Anthropologen und Soziologen kam es in den USA zu mannigfaltigen sozialpsychologischen Theorien der Persönlichkeit. In ihrem Zentrum stehen sozial orientierte Einstellungen und Handlungsvollzüge mit Anpassungsleistungen, Rollenvorschriften und gruppendynamische Vorgängen.
 
Mehr statische Auffassungen verstehen Persönlichkeit als theoretisch-hypothetische Konstruktion, der ein relativ stabiles, zeitüberdauerndes Verhaltenskorrelat entspricht (T. Herrmann); eine andere Betrachtungsweise betont den Aspekt durchgängiger Verhaltensmuster in den Motivationen und Handlungen und die Bedeutung spezifischer Wesenszüge, wobei ein faktorenanalytisches Modell der Persönlichkeit angestrebt wird, so bei C. Spearman (1935), J. P. Guilford (1940), R. B. Cattell (1950) und H. J. Eysenck (1953). Eysenck unterscheidet vier Sektoren, die er kognitiven Sektor (Intelligenz), konativen Sektor (Charakter), affektiven Sektor (Temperament) und somatischen Sektor (Konstitution) nennt. Sein Ziel ist »die Konstruktion eines mathematischen Modells der Persönlichkeitsorganisation«. Als Haupteinwand wird dagegen geltend gemacht (Allport), dass die aus Faktoren zusammengesetzte Persönlichkeit ein Kunstprodukt ist, während der innere organische Zusammenhang einer Persönlichkeit verborgen bleibt.
 
Die konkurrierenden faktorenanalytischen Modelle werden durch das Fünffaktorenmodell der Persönlichkeit zusammengefasst, das von Forschern unterschiedlicher Schulen vertreten wird. Die fünf Faktoren (englisch Big Five) sind Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen (Schätzen von Neuem und Abwechslung, Unabhängigkeit im Urteil, Interesse an privaten und öffentlichen Ereignissen u. a.), Verträglichkeit (Altruismus, Wohlwollen, Nachgiebigkeit) und Gewissenhaftigkeit. Die Faktoren werden seit 1989 mit dem NEO Five-Factor Inventory (NEO-FFI) mit je 12 Fragen pro Faktor gemessen.
 
Literatur:
 
H. J. Eysenck: The structure of human personality (London 31970);
 J. P. Guilford: Persönlichkeit (a. d. Amerikan., 61974);
 R. B. Cattell: Die empir. Erforschung der Persönlichkeit (a. d. Engl., 21978);
 A. Angleitner: Einf. in die Persönlichkeitspsychologie (Bern 1980);
 
Experimentelle Persönlichkeitspsychologie, hg. v. U. Hentschel u. a. (1980);
 E. Roth: Persönlichkeitspsychologie. Eine Einf. (61981);
 U. Füllgrabe: Persönlichkeitspsychologie (41982);
 M. Schneider: Werte u. Persönlichkeit. Beitr. zur empir. Wert- u. P. (1983);
 H. Mogel: Persönlichkeitspsychologie. Ein Grundriß (1985);
 B. Waszkewitz: Grundl. u. Praxis der Persönlichkeitspsychologie (1987);
 
Personality psychology, hg. v. D. M. Buss u. a. (New York 1989);
 F. Ostendorf: Sprache u. Persönlichkeitsstruktur (1990);
 T. Herrmann: Lb. der empir. P. (61991);
 L. A. Pervin: Persönlichkeitstheorien (a. d. Engl., 31993);
 K. A. Schneewind: Persönlichkeitstheorien, 2 Bde. (Neuausg. 21996);
 M. Amelang u. D. Bartussek: Differentielle Psychologie u. P. (41997);
 H.-J. Fisseni: Persönlichkeitspsychologie (41998).

Universal-Lexikon. 2012.