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Gottfried von Straßburg
Gottfried von Straßburg,
 
mittelhochdeutscher Dichter des frühen 13. Jahrhunderts; gehört neben Hartmann von Aue und Wolfram von Eschenbach zu den großen Epikern der Stauferzeit. Seine Lebensumstände liegen weitgehend im Dunkeln; sicher nicht adlig, war Gottfried ein städtischer Literat von hoher (u. a. lateinischer artistischer) Bildung. Sein Versepos »Tristan und Isold« (auch »Tristan« genannt, um 1210, 19 548 Verse, unvollendet abgebrochen), das auf der bereits höfischen Fassung des Thomas d'Angleterre beruht, gibt dem verbreiteten französisch-keltischen Stoff vom tragischen Schicksal der Liebenden seine klassische Form (zum »Tristrant« des Eilhart von Oberg lässt sich keine sichere Beziehung nachweisen). Auf hohem reflektorischem Niveau wird die alle geltenden Normen übersteigende Macht der Liebe gestaltet, die in ihrer fast religiös-mystischen Absolutheit die Liebenden in ihrem Konflikt zwischen Minne und gesellschaftlicher Ehre (ēre) zugrunde richtet. Tristan repräsentiert über den traditionellen ritterlichen Helden hinaus mit seiner vielseitigen Bildung (umfassende Sprachkenntnisse, poetische und musikalische Fähigkeiten, höfisch-praktische Künste) einen neuen Typus adliger Lebensform. Besonders herausragende, vielfach kontrovers gedeutete Passagen sind der strophische Prolog, mehrere Namensakrosticha, der Literaturexkurs (Vers 4 589-4 820), in dem er, ohne Namensnennung, Wolfram von Eschenbach wegen seines dunklen Stils tadelt, und die Minnegrottenepisode (Vers 16 403-17 772; die Minnegrotte erscheint als paradiesischer Fluchtort der Liebenden für eine gewisse Zeit, deutbar als positive Allegorie der Minne). Stilbildend wirkte die Artistik der Sprache, die wegen ihrer virtuosen Eleganz - hohe Musikalität und Leichtigkeit, rhetorische Durchformung und anspielungsreiche Vielschichtigkeit - bewundert und oft nachgeahmt wurde. Die späteren Ergänzungen des Torsos durch Ulrich von Türheim (um 1230/35) und Heinrich von Freiberg (um 1290) erreichen nicht das Niveau Gottfrieds. Die ihm sonst noch zugeschriebenen Dichtungen (ein Minnelied, ein Sangspruch, ein religiöses Lied und ein Spruch »Vom gläsernen Glück«) sind in ihrer Zuordnung umstritten.
 
Ausgaben: Tristan und Isold, herausgegeben von F. Ranke (1958, Nachdruck 1978); Tristan, nach der Ausgabe von R. Bechstein herausgegeben von P. Ganz, 2 Bände (1978); Tristan, nach dem Text von F. Ranke neu herausgegeben von R. Krohn, 3 Bände (2-31981-85).
 
Literatur:
 
F. Ranke: Die Allegorie der Minnegrotte in G.s Tristan (1925);
 G. Weber: G.s v. S. Tristan u. die Krise des hochmittelalterl. Weltbildes um 1200, 2 Bde. (1953);
 H.-H. Steinhoff: Bibliogr. zu G. v. S., 2 Bde. (1971-86);
 
G. v. S., hg. v. A. Wolf (1973);
 G. Weber u. W. Hoffmann: G. v. S. (51981);
 L. Okken: Komm. zum Tristan-Roman G.s v. S., 2 Bde. (Amsterdam 1984-85);
 W. Schröder: Kleinere Schriften, Bd. 5: Über G. v. S. (1994).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Nibelungenlied und Tristan: Die Infragestellung des höfischen Modells
 

Universal-Lexikon. 2012.