Caprivi,
Georg Leo Graf von (seit 1891), Politiker, * Charlottenburg (heute zu Berlin) 24. 2. 1831, ✝ Skyren (bei Crossen/Oder) 6. 2. 1899; durchschritt die militärische Laufbahn, war u. a. Chef der Admiralität (1883-88), zuletzt Kommandierender General des 10. Armeekorps in Hannover (1888-90); am 20. 3. 1890 berief ihn Kaiser Wilhelm II. als Nachfolger Bismarcks zum Reichskanzler (bis Oktober 1894) und preußischer Ministerpräsident (bis März 1892). Der von Caprivi verfolgte »Neue Kurs« war außenpolitisch durch die Nichterneuerung des Rückversicherungsvertrags mit Russland und die Annäherung an Großbritannien (Helgoland-Sansibar-Vertrag 1890) bestimmt. Innenpolitisch bemühte sich Caprivi um eine Mitarbeit aller Parteien (Verzicht auf die Ausnahmegesetze gegen die Sozialdemokratie). 1893 setzte er nach Auflösung des Reichstages eine bedeutende Heeresverstärkung durch. Seine Handelspolitik (Handelsverträge u. a. mit Belgien, Italien, Österreich und Russland) schuf die Grundlage für den Übergang des Deutschen Reiches vom Agrar- zum Industriestaat, trug Caprivi aber v. a. wegen der Senkung der Einfuhrzölle für Agrarprodukte die Gegnerschaft der konservativ eingestellten, v. a. im Bund der Landwirte organisierten Großgrundbesitzer ein. Der Konflikt mit der Reichstagsmehrheit über die Umsturzvorlage war der Anlass zu Caprivis Entlassung.
Obwohl von politischem Weitblick, vermochte Caprivi die ihm von Bismarck hinterlassene Machtfülle in der Stellung des Reichskanzlers nicht zu nutzen. Das an der Reichsspitze entstehende Machtvakuum, das sich unter seinem Nachfolger, Chlodwig Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst, vergrößerte, führte schließlich zu einer Regierungsinstabilität und mündete in den (gescheiterten) Versuch von Kaiser Wilhelm II., jenseits der ihm durch die Reichsverfassung gezogenen Grenzen ein »persönliches Regiment« durchzusetzen.
J. C. G. Röhl: Dtl. ohne Bismarck (a. d. Engl., 1969);
R. Lahme: Dt. Außenpolitik 1890-1894. Von der Gleichgewichtspolitik Bismarcks zur Allianzstrategie C.s (1990).
Universal-Lexikon. 2012.