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Verbraucherpolitik
Ver|brau|cher|po|li|tik, die:
Teilbereich der Wirtschaftspolitik, der auf eine Verbesserung der sozioökonomischen Position der Verbraucher gegenüber privaten u. öffentlichen Anbietern zielt.

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Verbraucherpolitik,
 
Maßnahmen öffentlicher oder privater Institutionen und Personen, die darauf abzielen, in einer Marktwirtschaft die Position der Verbraucher gegenüber Anbietern privater und öffentlicher Güter zu sichern beziehungsweise zu verbessern. Die Maßnahmen wirken sich primär auf die Gestaltung des Anbieter- wie auch des Nachfrageverhaltens aus; sekundäre Wirkungen können jeweils folgen. Zum Teil werden auch verbraucherorientierte Aktivitäten von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden zur Verbraucherpolitik gerechnet (z. B. Beratungsdienste, Produktinformationen, Schieds- und Schlichtungsstellen), dann wird auch von Konsumpolitik gesprochen.
 
Als eigenständiger Bereich der Wirtschaftspolitik hat sich die Verbraucherpolitik erst seit den 1950er-Jahren entwickelt. Bis dahin herrschte die Überzeugung, bei Gewährleistung wirksamen Wettbewerbs bedürfe es keiner Verbraucherpolitik. Gemäß dem Theorem der Konsumentensouveränität werde das Angebot durch rational handelnde und nutzenmaximierende Nachfrager gelenkt. Wettbewerb erzwinge ein kostengünstiges, bedarfsgerechtes, innovatives Güterangebot und verhindere die Entstehung von Marktmacht. Erhaltung und Förderung des Wettbewerbs sei die beste Verbraucherpolitik.
 
Wettbewerbspolitik ist eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung konsumentenorientierten Wirtschaftens, da die Marktposition des einzelnen Verbrauchers auch bei funktionierendem Wettbewerb eher schwach ist: Die Initiative zur Produktentwicklung liegt aufseiten der Anbieter; sie erforschen die (vermuteten oder tatsächlichen) Bedürfnisse der Verbraucher und setzen Instrumente des Marketing (z. B. Werbung) ein, um sie zu beeinflussen. Vielfalt und rascher Wandel des Angebots erschweren die Marktübersicht des Verbrauchers; Vertragsbedingungen der Anbieter beschneiden seine Rechte; von der Produktion, den Produkten selbst und ihrer Verwendung gehen Gefahren für Gesundheit, Sicherheit und Umwelt aus. Hier setzen die verschiedenen Instrumente der Verbraucherpolitik an, um durch Verbraucherinformation und -beratung die Markttransparenz zu erhöhen, durch Rechtsvorschriften den Verbraucher zu schützen, durch Verbraucherbildung und Förderung von Verbraucherorganisationen die Stellung einzelner oder aller Verbraucher (nach dem Gegenmachtprinzip) zu stärken und um dem Leitbild eines aktiven (»mündigen«), ökologisch, politisch und sozial verantwortungsbewussten Verbrauchers näher zu kommen.
 
Die staatliche Verbraucherpolitik nutzt insbesondere das Instrument des Verbraucherschutzes. Dieser umfasst alle Rechtsvorschriften, die unmittelbar oder mittelbar die Stellung und das Verhalten des Verbrauchers regeln oder beeinflussen. Dazu zählen der Schutz der Gesundheit, der Markttransparenz und der Rechtsposition von Verbrauchern gegenüber den Anbietern. Die Durchsetzung des Verbraucherschutzes obliegt v. a. Gerichten, Gesundheitsämtern und der Gewerbeaufsicht. Außerdem verfolgen nichtstaatliche Verbraucherorganisationen und -schutzvereine Verstöße gegen diese Rechtsvorschriften mit Abmahnungen und Klagen.
 
Die Notwendigkeit einer Verbraucherinformation und -beratung erwächst aus der Komplexität der Konsumvorgänge und der Informationsüberflutung durch die Anbieter. Ihre Aufgabe besteht u. a. darin, dem Verbraucher möglichst aktuelle, anbieterunabhängige Informationen über Preise und Qualität von Produkten, über die Marktsituation und Änderungen von relevanten Rechtsvorschriften sowie eine Beratung in konkreten Problemsituationen anzubieten. Zunehmend werden die Verbraucher auch mit Informationen über Dienstleistungsangebote (z. B. im Finanz- und Versicherungsbereich) versorgt. Die Aufgaben der Verbraucherinformation und -beratung werden überwiegend von nichtstaatlichen Organisationen übernommen. Dazu haben die Verbraucherzentralen ein flächendeckendes Netz von Beratungsstellen eingerichtet. Unterstützt wird diese Arbeit durch die vergleichenden Produktbeurteilungen der Stiftung Warentest sowie durch besondere Kennzeichnungen von Waren (z. B. Umweltzeichen). Die Entwicklung neuer Medien und Kommunikationstechniken beeinflusst die Verbreitung von Verbraucherinformationen.
 
Neuland betreten die Verbraucherverbände mit der Untersuchung ökologischer und sozialer Aspekte des Unternehmensverhaltens. Nach amerikanischem Vorbild (»Shopping for a better world«) befragen auch deutsche Verbraucherverbände Industrie- und Handelsunternehmen z. B. über Umweltverhalten, Arbeitsschutz und Frauenförderung in Unternehmen sowie den Umgang mit sozialen und ethnischen Minderheiten. Ziel ist es, Verbraucher für diese Fragen zu sensibilisieren und ihnen Hilfestellungen beim täglichen Konsum (»verantwortungsbewusstes Einkaufen«) zu geben.
 
Die Wahrnehmung der Verbraucherrolle in der Marktwirtschaft und die effektive Nutzung der Informations- und Beratungsangebote setzen Kenntnisse und Fähigkeiten voraus, die durch die eher längerfristig ausgerichtete Verbraucherbildung vermittelt werden. Verbraucherbildung kann als Oberbegriff für Verbrauchererziehung und -aufklärung angesehen werden. Verbrauchererziehung findet v. a. in der Familie und der Schule statt und zielt darauf, grundlegende Kenntnisse über die Funktionsweise der Marktwirtschaft zu vermitteln, die eigenen Bedürfnisse und die auf sie einwirkenden Einflussfaktoren (z. B. Werbung) kritisch zu reflektieren, ein selbstbestimmtes und verantwortliches Konsumverhalten (mit Blick auf die Wirkungen des Konsums auf Mitmenschen und Umwelt) zu entwickeln und ein rationales Verhalten im Haushalt und am Markt herbeizuführen. Die Verbraucheraufklärung ergänzt die Verbrauchererziehung und richtet sich besonders an erwachsene Verbraucher. Hier engagiert sich z. B. die Stiftung Verbraucherinstitut (gegründet 1978; Sitz: Berlin), die sich das Ziel setzt, Verbraucher zu mehr ökologischer, sozialer und politischer Verantwortung zu führen. Zur Aufklärung dienen auch Kommunikationskampagnen über problematische Verhalten von Verbrauchern (z. B. das Rauchen oder Medikamentenmissbrauch).
 
Verbraucherpolitik spielt sich auf drei miteinander verbundenen Ebenen ab: Auf der obersten Ebene liegt das staatliche Handeln im Interesse der Verbraucher, das Gesetzgebung, Überwachung und Kontrolle sowie Förderung der Verbraucherorganisationen umfasst. Diese Aufgaben werden von den Legislativ- und Exekutivorganen des Bundes und der Länder sowie von den Kommunen wahrgenommen. Mit der Realisierung des Europäischen Binnenmarktes verlagert sich Verbraucherpolitik zunehmend auf die Ebene der EU. Im Mittelpunkt stehen die Durchsetzung von Produktsicherheit und Gesundheitsschutz sowie eine bessere Rechtsstellung der Verbraucher (z. B. Durchsetzung von Garantieansprüchen gegenüber ausländischen Herstellern), aber auch die Abwehr von Versuchen, Märkte gegen ausländische Konkurrenz abzuschotten (z. B. im Kfz-Handel, bei Bank- und Versicherungsdienstleistungen).
 
Die mittlere Ebene bilden die Verbraucherverbände (Verbraucherorganisationen), die die Organisation und Vertretung von Verbraucherinteressen gegenüber politischen Entscheidungsträgern, Industrie und Handel wahrnehmen. Die Fremdorganisation des Verbraucherinteresses wird mit öffentlichen Mitteln gefördert. Zu den großen fremdorganisierten Verbraucherverbänden beziehungsweise -organisationen zählen z. B. die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände e. V. (AgV), die Verbraucherzentralen, die Stiftung Warentest, die Stiftung Verbraucherinstitut, der Verbraucherschutzverein e. V., die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V., die Arbeitsgemeinschaft Wohnberatung e. V. und der Auswertungs- und Informationsdienst für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AID).
 
Auf der untersten Stufe der Verbraucherpolitik agieren die Verbraucher selbst. Selbstorganisationen von Verbraucherinteressen, die sich auf spezielle Verbraucherfragen konzentrieren, aber nicht nur Verbraucherpolitik betreiben und deshalb auch als sekundäre Verbraucherorganisationen bezeichnet werden, sind u. a. örtliche Mietervereine (auf Bundesebene im Deutschen Mieterbund zusammengeschlossen), Hausfrauenvereine, Familienverbände, Automobilclubs (z. B. ADAC, AvD, ACE) und Verkehrsclubs (z. B. Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club e. V., Verkehrsclub Deutschland e. V.). Zu den bundesweit tätigen Verbänden zur primären Selbstorganisation von Verbraucherinteressen mit umfassendem Vertretungsanspruch zählt die Verbraucher Initiative e. V. Weitere Selbstorganisationen sind temporäre Verbraucherinitiativen und Boykotts mit projektbezogenen kurzfristigen Aufgabenstellungen.
 
Die Verbraucherorganisationen vertreten Verbraucherinteressen u. a. durch Teilnahme an Anhörungen von Ministerien und Ausschüssen, die an der verbraucherrelevanten Gesetzgebung beteiligt sind. Sie versuchen frühzeitig, durch Kontakte zu den verbraucherpolitischen Sprechern der politischen Parteien und Fraktionen Gesetzgebungsaktivitäten zu initiieren und zu beeinflussen. Eine Beeinflussung der Industrie und des Handels findet indirekt durch Produkttests statt. Durch die Möglichkeit, Testergebnisse der Stiftung Warentest u. a. Testorganisationen werblich herauszustellen durch Umsatzeinbußen bei schlechter Testbeurteilung wird das Produktangebot hinsichtlich Preiswürdigkeit, Handhabung, Haltbarkeit und hinsichtlich gesundheitlicher und umweltrelevanter Aspekte positiv beeinflusst.
 
Der Europäische Verbraucherverband (Bureau Européen des Unions des Consommateurs, Abkürzung BEUC; gegründet 1962, Sitz: Brüssel) vereint 26 Verbraucherverbände aus 15 europäischen Staaten sowie 4 korrespondierende Mitglieder Weltweit haben sich 200 Verbraucherorganisationen aus 90 Ländern in der Internationalen Vereinigung der Verbraucherverbände (Consumers International; bis 1995 International Organization of Consumer Unions, Abkürzung IOCU; gegründet 1960, Sitz: Den Haag) zusammengeschlossen.
 
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
 
HaushaltKonsum · Werbung · Wettbewerb
 
Literatur:
 
J. Bornecke: Hb. der Verbraucherinstitutionen (1982);
 H. Schatz: Verbraucherinteressen im polit. Entscheidungsprozeß (1984);
 E. Kuhlmann: V. (1990);
 Hans-Michael Müller: Konsument u. Marktwirtschaft (1991);
 M. Breitenacher: Der EG-Binnenmarkt aus Verbrauchersicht (1993);
 K. Kollmann: Neuorientierte V. (Wien 1993);
 W. Kroeber-Riel u. P. Weinberg: Konsumentenverhalten (61996).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Verbraucherpolitik: Grundlagen
 

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Universal-Lexikon. 2012.