* * *
flie|sen 〈V. tr.; hat〉 mit Fliesen belegen ● gefliester Boden
* * *
flie|sen <sw. V.; hat:
mit Fliesen auslegen.
* * *
Fliesen
[von mittelniederdeutsch vlise »Steinplatte«], kleine, dünne Stein- oder Tonplatten zur Bekleidung von Wänden und Fußböden. Keramische Wandfliesen haben einen feinkörnigen, kristallinen, porösen Scherben (Irdengut, Steingut) und eine weiße oder farbige, glänzende oder matte Glasur. Keramische Bodenfliesen haben einen ein- oder mehrfarbigen, feinkörnigen, dicht gesinterten Scherben (Steinzeug); sie sind meist unglasiert, frost- und säurebeständig und haben eine glatte oder eine zur Verbesserung der Trittsicherheit profilierte Oberfläche. Heutige Wand- und Bodenfliesen werden im Trockenpressverfahren geformt, wobei die genau dosierten Ausgangsmaterialien (Ton, Kaolin, Quarz, Feldspat u. a.) aufgeschlämmt werden, der Schlicker in einem Sprühturm unter Zugabe von heißer Luft (400-600 ºC) zu feinem Granulat getrocknet und die Trockensprühmasse anschließend unter hohem Druck gepresst wird. Danach werden die rohen Fliesen gegebenenfalls zu Glasiermaschinen und zum Ofen (im Allgemeinen Schnellbrandtunnelofen) transportiert, wo sie im Einbrandverfahren fertig gestellt werden.
Die keramische Fayencefliese hat im Altertum ihren Vorläufer im glasierten Ziegel (Emailziegel, Fayenceziegel), der schon um die Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. bekannt war und eine wichtige Rolle in der assyrischen, spätbabilonischen und altpersischen Baukunst spielte; als Flachbild oder Reliefbild (aus Formziegeln) verkleideten die glasierten Ziegel die Bauwerke.
Marmorfliesen fanden im griechischen Tempelbau und in der hellenistischen Palast- und Stadtbaukunst für Höfe, Innenräume, Plätze und Straßen Verwendung. Sie wurden seit der späteren Kaiserzeit auch in Rom üblich, später schmückten sie Boden und Ambo frühchristlicher Kirchen und blieben in Italien lange ein wichtiges Dekorationselement (Cosmaten).
In der islamischen Kunst wurden glasierte sowie in Lüstertechnik bemalte Fliesen zuerst im 9. Jahrhundert als Wand- und Bodenbekleidung in den Palästen von Samarra verwendet, sodann in der Großen Moschee von Kairouan und bis zum 11. Jahrhundert vereinzelt in Ägypten, Nordafrika, Syrien. Reliefgeprägte Fliesen mit farbigen Glasuren zeigen die Bauten der Ghasnawiden in Afghanistan. Produktionszentren in Iran waren Ende des 12. Jahrhunderts Kaschan und Raj; die Fliesen haben Lüsterbemalung auf weißen, kobaltblauen und türkisgrünen Glasuren. In Kleinasien entwickelten die Seldschuken die Unterglasurmalerei, die Osmanen begründeten Manufakturen in İznik, deren Spezialität ein Bolusrot war. Diese Manufakturen statteten v. a. die osmanischen Moscheen in Konstantinopel aus. Dagegen ist der Herstellungsort der Fliesen nicht bekannt, mit denen im safawidischen Iran in Isfahan u. a. Städten die Moscheen und Paläste verkleidet wurden. Auf der Iberischen Halbinsel bildet der Sockeldekor (Alicatados) der Alhambra und des Alcázars in Sevilla einen Höhepunkt des Fayencemosaiks, dessen Verwendung im Spanien des 15., 16. und 17./18. Jahrhunderts noch zunahm (Azulejos).
Seit dem frühen Mittelalter verwendete man in den meisten Ländern einfache Bodenfliesen mit eingepressten Wappen und Mustern. Angeregt durch die spanische Fliesenproduktion, stellten seit dem 16. Jahrhundert auch Fayencemanufakturen in anderen europäischen Ländern Wandfliesen (»Kachel«) her; v. a. die niederländischen Werkstätten in Delft produzierten im 17. und 18. Jahrhundert große Mengen von Kacheln (Delfter Fayencen). Von England ausgehend, gewann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Verwendung der Fliesen erneut an Bedeutung, besonders zur Zeit des Jugendstils.
F. Eine Gesch. der Wand- und Boden-F., bearb. v. A. Berendsen u. a. (1964);
G. Kaufmann: Bemalte Wand-F. (1973);
S. Stahl: Dt. F. (1977);
M. Weisser: Jugendstil-F. (1983);
F. in Kunst u. Architektur, bearb. v. H. van Lemmen (a. d. Engl., 1994).
* * *
Universal-Lexikon. 2012.