Literaturnobelpreis 1954: Ernest Hemingway
Der amerikanische Schriftsteller erhielt den Literaturnobelpreis für seine kraftvolle, den zeitgenössischen Stil beeinflussende Meisterschaft in der Erzählkunst.
Ernest Miller Hemingway, * Oak Park (Illinois) 21. 7. 1899, ✝ Ketchum (Idaho) 2. 7. 1961; 1918 Rotkreuzhelfer im Ersten Weltkrieg, 1921-28 Zeitungskorrenspondent in Europa, 1926 »Fiesta«, 1929 »In einem andern Land«, 1933 Afrikasafari, 1935 »Die grünen Hügel Afrikas«, 1937 Kriegsberichterstatter im Spanischen Bürgerkrieg, 1940 »Wem die Stunde schlägt«, ab 1942 Kriegsberichterstatter im Zweiten Weltkrieg, ab 1946 Reisen in Kuba, Afrika, Europa, 1952 »Der alte Mann und das Meer«.
Würdigung der preisgekrönten Leistung
Besonders in »Der alte Mann und das Meer« hatte Hemingway nach Ansicht des Nobelpreiskomitees diese Meisterschaft in der Kunst des Erzählens bewiesen. Die 1952 veröffentlichte Erzählung handelt von dem alten kubanischen Fischer Santiago, der nach wochenlangen vergeblichen Ausfahrten einen riesigen Schwertfisch fängt. Der Fischer triumphiert zwar in einem Zweikampf auf Leben und Tod über den Fisch, doch auf der Rückfahrt wird sein Fang von Haien gefressen. Santiago trägt diese bittere Niederlage mit Würde und Anstand und beschließt, wieder hinauszufahren. Seine Einsicht »Der Mensch ist nicht für die Niederlage gemacht, ein Mensch kann vernichtet, aber nicht geschlagen werden« ist Hemingways Credo.
Stierkampf, Großwildjagd und Krieg
Der Held, der auch in der Niederlage den moralischen Sieg erringt und seine Männlichkeit beweist, taucht in den Werken von Ernest Hemingway immer wieder auf. Hemingway selbst hat sein ganzes Leben lang versucht, nach diesem Männlichkeitsideal zu leben und sich in Krieg und Abenteuern immer neuen Herausforderungen zu stellen.
So meldet er sich 1918 nach wenigen Monaten journalistischer Ausbildung beim »Kansas City Star« freiwillig zum Roten Kreuz an die italienische Front des Ersten Weltkriegs. Die schweren körperlichen wie seelischen Verwundungen, die er dort davontrug, verarbeitet er in seinem 1929 erschienenen zweiten Roman »In einem andern Land«, in dem der junge amerikanische Kriegsfreiwillige Frederic Harvey die Gewalt und Sinnlosigkeit des Kriegs erfährt und sich in die britische Krankenschwester Catherine Barkley verliebt. Doch die aufblühende Leidenschaft zwischen beiden endet tragisch mit dem Tod der jungen Frau. Auch schon Hemingways erster Roman »Fiesta«, den er 1926 während seines Europaaufenthalts als Zeitungskorrespondent schreibt, erzählt von der »Lost Generation«, der verlorenen Generation des Ersten Weltkriegs, von ruhelosen Existenzen, die ihre Desillusionierung und Verzweiflung auf einer Spanienreise in Alkoholexzessen ertränken.
In »Fiesta« beschäftigte sich Hemingway mit einem Thema, das ihn sein Leben lang nicht mehr loslassen sollte: dem Stierkampf, in dem sich für ihn das uralte Ritual vom Kampf des zivilisierten Menschen gegen das wilde Tier und die ungezähmte Natur manifestiert. Genau wie der Stierkampf ist für Hemingway die Großwildjagd ein maskulines Urerlebnis, bei dem er ein »Gefühl der Rebellion gegen den Tod« erlebt, wenn er selbst ein Tier tötet. Dieser archaische Aspekt der Großwildjagd zieht ihn immer wieder nach Afrika. Seine Erlebnisse auf Safaris verarbeitet er unter anderem in »Die grünen Hügel Afrikas« (1935) und »Schnee auf dem Kilimandscharo« (1936).
Auch die Erfahrungen, die Hemingway 1937 als Kriegsberichterstatter im Spanischen Bürgerkrieg macht, hat er in einem Roman umgesetzt. »Wem die Stunde schlägt« (1940) schildert eine nur drei Tage währende Bürgerkriegsepisode, in deren Mittelpunkt der idealistische, nach Selbstverwirklichung suchende Robert Jordan steht. Der amerikanische Universitätsdozent, der nach Spanien gekommen ist, um »für die Armen in der Welt, gegen die Tyrannei« zu kämpfen, soll mit einer Gruppe Republikaner eine Brücke sprengen und trifft dabei die Partisanin Maria, in die er sich verliebt. Doch auch in diesem Roman sind die Liebe und der Tod untrennbar miteinander verbunden. Jordan opfert sich, als er den Rückzug seiner Freunde deckt, und hat so das Gefühl, für etwas Sinnvolles zu sterben.
Ein Journalist und Abenteurer
Liebe und Tod, Schmerz und Vergänglichkeit, Männlichkeit und Würde — das sind Hemingways ureigene Themen, die in seinen zum Teil autobiografischen Werken immer wieder auftauchen. Seine Charaktere sind Einzelkämpfer auf der Suche nach Glück und Selbstverwirklichung, und obwohl nach Ansicht des Nobelpreiskomitees viele seiner Werke eine »brutale, zynische und gefühllose Seite« haben, zeigen sie auch immer eine Bewunderung für die Menschen, die in einer von Gewalt und Tod geprägten Welt auf der Seite des Guten kämpfen.
Seinen reportagehaften Stil mit kurzen, kompakten Sätzen in kommentarloser Abfolge, seine an Metaphern und Symbolen reiche, dennoch lakonische und emotionslose Sprache, die auf das Notwendigste reduziert ist, verdankt Hemingway seiner journalistischen Ausbildung bei verschiedenen amerikanischen und kanadischen Zeitungen, für die er neben seiner schriftstellerischen Arbeit zeitlebens auch als Korrespondent tätig ist.
Dabei führt er — für einen Literaten sicherlich ungewöhnlich — immer auch ein Leben wie die Helden in seinen Romanen. Er ist Soldat und Kriegsberichterstatter, Boxer, Frauenheld — er heiratet viermal und hat zahlreiche außereheliche Affären —, als passionierter Hochseeangler zieht er Dutzende von Schwertfischen aus dem Meer, als Großwildjäger erlegt er alles, was ihm in der afrikanischen Savanne vor die Flinte kommt.
Er pflegt das Image des harten Burschen, des furchtlosen und trinkfesten Machos, und mit seinen erfolgreichen Romanen — »In einem andern Land« und »Wem die Stunde schlägt« werden in kurzer Zeit zu Bestsellern — rückt er selbst ins Interesse der Medien, was er durch seinen Lebensstil auch noch bewusst fördert. Sein großspuriges Imponiergehabe, seine Glorifizierung der eigenen Männlichkeit bringt ihn in die Klatschspalten, er wird schließlich Gefangener seiner eigenen Legende — denn sein Privatleben scheint die Menschen mehr zu interessieren als seine Werke. Vor der Veröffentlichung von »Der alte Mann und das Meer« lässt sein literarisches Schaffen jedoch bereits nach und danach verliert er offenbar seine Fähigkeit zu schreiben ganz. Andererseits wächst durch die Verleihung des Pulitzerpreises 1953 und des Nobelpreises ein Jahr später der Druck auf ihn. Hinzu kommt ein rascher körperlicher Verfall: Sein exzessiver Lebenswandel, sein beträchtlicher Alkoholkonsum und zahlreiche Verletzungen, unter anderem durch zwei Flugzeugabstürze während einer Afrikasafari 1954, fordern ihren Tribut. Es wird für ihn immer schwieriger, die öffentlichen Erwartungen zu erfüllen. Von Depressionen und Verfolgungswahn gequält und nicht mehr fähig, sein früheres literarisches Niveau zu erreichen, erschießt sich Hemingway im Sommer 1961 mit seinem Jagdgewehr.
S. Straub
Universal-Lexikon. 2012.