Frei|sinn 〈m. 1; unz.〉 Sy Freisinnigkeit
1. freiheitl., fortschrittl. Gesinnung
2. politisch liberale, sozialreformerische Richtung
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Frei|sinn, der <o. Pl.>:
a) (veraltet) freiheitliche, liberale Gesinnung;
b) Kurzwort für: Freisinnig-Demokratische Partei in der Schweiz.
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Freisinn,
Bezeichnung für eine um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland und in der Schweiz aufgekommene politische Richtung, die sich für die Durchsetzung liberaler Grundsätze in Staat und Wirtschaft einsetzte, später auch sozialreformerische Ideen aufnahm und sich nach 1870 in Parteien organisierte.
Die Deutschfreisinnige Partei (Deutsche Freisinnige Partei; Abkürzung DFsP) entstand im März 1884 aus der Vereinigung der Deutschen Fortschrittspartei und der Liberalen Vereinigung. Unter der Führung von Eugen Richter trat sie für die Entwicklung der Reichsverfassung im parlamentarischen Sinne ein; sie bekämpfte die Schutzzoll-, Sozial- und Kolonialpolitik O. von Bismarcks. Im Mai 1893 zerfiel sie in die Freisinnige Volkspartei, die unter Richters Führung einen strengen Wirtschaftsliberalismus vertrat, und in die Freisinnige Vereinigung, deren soziale Zielsetzung u. a. von T. Barth und F. Naumann bestimmt wurde. Beide Parteien schlossen sich am 6. 3. 1910 mit der Deutschen Volkspartei zur Fortschrittlichen Volkspartei zusammen.
Die Freisinnig-Demokratische Partei der Schweiz (Abkürzung FDP; französisch Parti radical-démocratique suisse, Abkürzung PRD) wurde am 25. 2. 1894 in Olten gegründet. Sie bekennt sich in ihrem später mehrfach überarbeiteten Gründungsprogramm u. a. »zur Pflege und Förderung des eidgenössischen Staatsgedankens«, »zur demokratisch-fortschrittlichen Entwicklung der Institutionen des Bundes« und zur Notwendigkeit sozialer Reformen. Sie knüpft heute an die liberalen Traditionen der Eidgenossenschaft an. Eine (1907 erstmals konstituierte) Delegiertenversammlung wählt einen Delegiertenrat und eine Geschäftsleitung. Personelle Spitze ist ein Parteipräsident. - Hervorgegangen aus verschiedenen liberalen und demokratischen Gruppierungen, u. a. dem Schweizerischen Volksverein (gegründet 1873) und der Radikaldemokratischen Fraktion in der Bundesversammlung (gegründet 1878), waren freisinnige Politiker beziehungsweise die FDP/PRD zunächst - von der Annahme demokratischer Verfassungen zahlreicher Kantone 1830/31, der Gründung des schweizerischen Bundesstaats durch die Bundesverfassung vom 1848 bis ins 20. Jahrhundert hinein - auf Bundesebene die entscheidende politische Kraft; 1848-91 stellte der Freisinn allein die sieben Bundesräte. Mit dem Übergang vom Mehrheits- zum Verhältniswahlrecht 1919 verlor die FDP/PRD allmählich ihre innenpolitische Vormachtstellung; sie fiel im Nationalrat von (1911) 105 auf (1919) 60 Sitze; bis 1935 stärkste Partei im Ständerat, verlor sie 1943 ihre Mehrheit von fünf Vertretern im Bundesrat und ist seit 1959 (»Zauberformel«) dort mit zwei Repräsentanten vertreten. 1945-87 erreichte die FDP/PRD einen konstanten Stimmenanteil zwischen 22 und 24 %. Als stärkste Fraktion in der Vereinigten Bundesversammlung (1987: 66, 1991 und 1995: 62 Abgeordnete) war die FDP/PRD 1983-91 auch wieder stärkste Partei im Nationalrat (1987 22,9 % der Stimmen und 51 Abgeordnete, 1991 20,9 % und 44 Abgeordnete, 1995 20,2 % und 45 Abgeordnete; 1999: 19,9 % und 43 Sitze), seit 1991 ist sie es im Ständerat (18 Abgeordnete, zuvor 15; 1995 17 Abgeordnete; 1999: 18 Abgeordnete).
E. Steinmann: Gesch. des schweizer. F. (Bern 1955; Berichtszeitraum 1830-1918);
Rudolf Meier: Der schweizer. F. Bewahrung einer geschichtl. Doktrin in der Gegenwart? (Diss. ebd. 1978).
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Universal-Lexikon. 2012.