Free Jazz 〈[fri: dʒæ̣s] m.; - -; unz.〉 freiimprovisierter Jazz [engl.]
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auf freier Improvisation beruhendes Spielen von Jazzmusik.
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Free Jazz
[amerikanisch, frɪ: dʒæz; auch Creative Music, New Thing, Total Music], um 1960 in New York und Chicago entstandene Entwicklungsform des Jazz, die nicht mehr als ein Stil im herkömmlichen Sinn anzusprechen ist, da gerade das Aufheben übergreifender und verbindlicher musikalischer Rahmenbedingungen dafür kennzeichnend geworden ist. Das allerdings bedeutet keineswegs ein völlig freies, also regelloses Musizieren, selbst wenn an die Stelle einer gemeinsamen thematischen Grundlage hier die freie Improvisation tritt. Vielmehr haben die Regeln des Zusammenspiels nur ihren allgemeinen und normativen Charakter verloren, können frei gewählt oder überhaupt neu geschaffen werden. Zu den Pionieren dieser Entwicklung gehörten der Pianist Cecil Taylor (* 1933) und der Tenorsaxophonist Ornette Coleman (* 1930), der mit einem 1961 eingespielten Titel dieser Form des Jazz auch ihre Bezeichnung gab. Eine große Rolle für die Herausbildung des Free Jazz spielte die Ende der Fünfzigerjahre von dem Tenor- und Sopransaxophonisten John Coltrane (1926-1967) und dem Trompeter Miles Davis (1926-1991) entwickelte modale Spielweise (Modal Jazz), bei der nicht mehr über eine Akkordfolge, sondern über eine vorher festgelegte Tonskala improvisiert wurde, auf der dann beliebige Akkordbildungen möglich waren. Das hat den Jazz nicht nur endgültig aus der tonalen Bindung herausgeführt, sondern ihn auch in die Nähe außereuropäischer Tonsysteme gebracht. Coltrane begann Anfang der Sechzigerjahre in der Folge dieser Entwicklung mit arabischen und indischen Skalen zu experimentieren und wurde damit zum Initiator einer Richtung des Free Jazz, die sich bewusst und intensiv mit den Musikkulturen Asiens und Afrikas auseinander setzte. Dabei ist zugleich das Instrumentarium des Jazz durch Instrumente aus diesen Kulturen bereichert worden, hat insbesondere der Perkussionsapparat eine erhebliche Erweiterung erfahren, wie überhaupt der Klangraum durch Einbeziehen von Geräuschen, durch den Versuch der spieltechnischen Ausdehnung des herkömmlichen Tonumfangs der Instrumente (Überblasen usw.) vergrößert wurde. Eine weitere wichtige und folgenreiche Errungenschaft des Free Jazz war der Wegfall der Hierarchie der Instrumente und Musiker innerhalb der Ensembles, die Aufhebung der Funktionsteilung von Solist und Begleitung, was ein wirklich kollektives Musizieren und Improvisieren ermöglichte. In Verbindung damit wurde auch der bisher verbindliche Grundrhythmus beim Zusammenspiel aufgegeben. Anknüpfend an die afrikanische Tradition der Polyrhythmik begannen sich stattdessen die verschiedenen individuellen Rhythmen der Musiker im Ensemblespiel zu überlagern.
Die ästhetische Radikalität, mit der sich im Prozess der Herausbildung des Free Jazz ein neues musikalisches Bewusstsein gegenüber der bisherigen Entwicklung Geltung verschaffte, stand zum Teil zumindest in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Emanzipationsbewegung der Farbigen. Das hat einem politischen Funktionsverständnis des Jazz zum Durchbruch verholfen, für das entsprechende Ausdrucksformen geschaffen werden mussten. In Titeln wie etwa »Stop! Look! And Sing Songs of Revolution!« (1963) von Charlie Mingus (1922-1979) oder »Things Have Got to Change« (1971) von Archie Shepp (* 1937) fand das einen ganz unmittelbaren Niederschlag. Im Rahmen dieser Entwicklung haben sich dann ab Mitte der Sechzigerjahre weitere programmatische Konzepte des Musizierens ausgeprägt, die den Free Jazz in unterschiedliche Richtungen und Musikauffassungen differenzieren. Dazu gehörte der Versuch, mit szenischen Mitteln dem Jazz neue Ausdrucksmöglichkeiten zu erschließen. Zu nennen ist hier vor allem das Art Ensemble of Chicago, der Kern einer 1965 von dem Chicagoer Pianisten Richard Abrams (* 1929) sowie einigen jüngeren Musikern ins Leben gerufenen Musiker-Kooperative, der Association for the Advancement of Creative Musicians (AACM). Mit theatralischen Elementen durchsetzt waren auch die Veranstaltungen des Ensembles von Sun Ra (Herman Blount, 1914-1993), der eine religiös-meditative Spielart des Free Jazz vertrat, die er selbst als »Musik des Universums« definierte und mit kosmischen und interplanetaren Vorgängen in Zusammenhang brachte. Seine Ensembles trugen dann auch entsprechend spektakuläre Namen wie Myth Science Arkestra, Solar Arkestra oder Intergalatic-Research Arkestra. Doch unabhängig von dem publicityträchtigen pseudophilosophischen Gesamtkonzept hat seine Musik mit ihrer ungewöhnlichen Vielfalt, ihrer strukturellen Dichte, der Intensität ihrer perkussiven Basis wie mit dem Mixed-Media-Konzept ihrer Aufführung großen Einfluss auf die zeitgenössische Musikentwicklung, weit über den Jazz hinaus, genommen. Für den Jazz selbst ist vor allem sein Versuch, das von der spontanen Interaktion geleitete Musizieren auf ein großes Ensemble zu übertragen, wichtig geworden. Mit diesem Problem hat sich auch eine mehr oder weniger sporadisch zusammengefundene New Yorker Gruppe von Musikern um den in Österreich geborenen Trompeter Mike Mantler (* 1943) und die Pianistin Carla Bley (* 1938) auseinandergesetzt, die als Jazz Composer's Orchestra international bekannt geworden ist. Während hier noch ausgeschriebene Cluster und vorkomponierte Abläufe die musikalische Organisation der Bigband bestimmten, wurde die herkömmliche Form des Zusammenspiels im größeren Ensemble-Verband durch das 1965 in Frankfurt/Main gegründete Globe Unity Orchestra unter Leitung des Pianisten und Komponisten Alexander von Schlippenbach (* 1938) radikal aufgebrochen.
Innerhalb der damit skizzierten Eckpunkte weist der zeitgenössische Jazz hinter dem Etikett Free Jazz jedoch eine Vielfalt an Spielweisen und Musikauffassungen auf, die sich jeder summarischen Kennzeichnung entzieht. Mit der Formation um Alexander von Schlippenbach beginnt zugleich eine eigenständige Entwicklung des europäischen Jazz, der sich von den amerikanischen Vorbildern emanzipiert und auf den wachsenden, ebenfalls mit dem Free Jazz verbundenen Stellenwert nationaler Entwicklungsformen des Jazz verweist. In diesen Zusammenhang gehört das ursprünglich in Großbritannien entwickelte Konzept der Improvised Music, in dem ganz von den in der amerikanischen Kultur verwurzelten Traditionen des Jazzmusizierens abzukommen versucht wird, um an deren Stelle ein aus der europäischen Musik heraus entwickeltes Modell des improvisierenden Musizierens zu setzen.
Siehe auch: Jazz.
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Universal-Lexikon. 2012.