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Wissenschaft des Judentums
Wissenschaft des Judentums,
 
englisch Jewish Studies ['dʒuːɪʃ'stʌdɪz], um 1820 geprägte Bezeichnung für die wissenschaftliche Erforschung der jüdischen Kulturgeschichte. Sie trat an die Stelle der v. a. seit dem 17. Jahrhundert aus christlicher Sicht betriebenen Hebraistik. Beeinflusst von den Vorstellungen der Haskala und der Romantik, bildete sich 1819 in Berlin der »Verein für Kultur und Wissenschaft der Juden«, der bis 1824 bestand; Mitglieder waren u. a. L. Zunz, E. Gans und zeitweilig H. Heine; 1822/23 erschien die programmatische »Zeitschrift für die W. des Judenthums« (3 Hefte), deren Ziel die Erforschung der eigenen (jüdischen) religiösen und kulturellen Vergangenheit war, um so zu einer neuen Selbstbestimmung zu gelangen und die jüdische Position in der Umwelt zu verdeutlichen. Gleichzeitig mit der in Deutschland aufkommenden Reformbewegung breitete sich die Wissenschaft des Judentums in andere europäische Länder und die USA aus und hatte wesentlichen Einfluss auf das moderne Judentum. Hauptvertreter der Wissenschaft des Judentums waren Zunz, S. J. L. Rapoport, S. D. Luzzatto, N. Krochmal, der Rabbiner und erste Direktor des 1854 eröffneten Jüdisch-Theologischen Seminars Breslau Zacharias Frankel (* 1801, ✝ 1875), A. Geiger und M. Steinschneider, maßgebliches Organ war die von Frankel begründete »Monatsschrift für Geschichte und W. des Judenthums« (1851-1939). Von der jüdischen Orthodoxie als »fremde Wissenschaft« abgelehnt, wurde die Wissenschaft des Judentums zunächst v. a. an reformjüd. und konservativen Rabbinerseminaren betrieben. 1872 wurde in Berlin die »Hochschule für die Wissenschaft des Judentums« gegründet. Die von Steinschneider vertretene, religiös neutrale »Wissenschaft vom Judentum« konnte sich allerdings wegen innerjüd. und christlich-kirchlichen Widerstände nicht durchsetzen. So kam es in Deutschland erst nach 1945 zur Einrichtung des religiös und politisch nicht gebundenen Universitätsfaches Judaistik. Die 1979 gegründete Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg knüpft dagegen wieder an die Tradition der Wissenschaft des Judentums an. Erstmals wissenschaftliche Disziplin an einer Universität wurde die Wissenschaft des Judentums an der 1925 eröffneten Hebräische Universität Jerusalem und fand außerhalb Israels mit ihren unterschiedlichen (säkularwissenschaftlichen und religiösen) Forschungsfeldern unter der Bezeichnung Jewish Studies besonders in den USA einen festen Platz an verschiedenen Forschungseinrichtungen.
 
Literatur:
 
I. Elbogen: Ein Jh. W. d. J., in: Festschr. zum 50jährigen Bestehen der Hochschule für die W. d. J. (1922);
 J. Maier: Judaic Studies in the Federal Republic of Germany, in: Jewish Book Annual, Bd. 44 (New York 1986-87);
 
Methodology in the academic teaching of Judaism, hg. v. Z. Garber (Lanham, Md., 1986);
 J. Neusner: The religious study of Judaism, 4 Bde. (ebd. 1986-88);
 J. Neusner: Paradigms in passage (ebd. 1988);
 
W. d. J. Anfänge der Judaistik in Europa, hg. v. J. Carlebach u. a. (1992);
 Michael A. Meyer: Von Moses Mendelssohn zu Leopold Zunz. Jüd. Identität in Dtl. 1749-1824 (a. d. Engl., 1994);
 M.-R. Hayoun: La science du judaïsme (Paris 1995).

Universal-Lexikon. 2012.