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Thukydides
Thukydides,
 
griechisch Thukydịdes, lateinisch Thucydides, griechischer Geschichtsschreiber, * Athen um 460 v. Chr., ✝ nach 400 v. Chr.; nahm 424 v. Chr. als athenischer Flottenkommandant am Peloponnesischen Krieg teil, konnte den Fall von Amphipolis nicht verhindern und wurde von den Athenern verbannt; seine Rückkehr nach Athen nach Aufhebung der Verbannung (404 v. Chr.) ist ungewiss.
 
Sein Geschichtswerk schildert im ersten Buch die Vorgeschichte und die Ursachen des Peloponnesischen Krieges, den er als die bis dahin gewaltigste Auseinandersetzung begriff: Die »Archäologie« (I, 2-19) fasst die älteste griechische Geschichte zusammen, die »Pentekontaëtie« (I, 89-118) gibt einen Abriss der Zeit zwischen Perserkriegen und Peloponnesischem Krieg. Die eigentliche Darstellung des Peloponnesischen Krieges findet sich streng chronologisch in den Büchern zwei bis acht. Die Schilderung der Ereignisse ist knapp, überall auf Tatsachen bedacht (Namen, Zahlen, Chronologie); sie verwendet Augenzeugenberichte, Ergebnisse aus sprachlichen, ethnologischen, archäologischen Befunden und zieht Urkunden zum Teil im Wortlaut heran. Thukydides gilt damit als Begründer der politischen Geschichtsschreibung. Statt der Götter bestimmen für ihn die menschliche Natur, besonders das Streben nach Macht, und der Zufall den Gang der Geschichte. Besonders in den eingefügten, vom Denken der Sophistik beeinflussten (im Wesentlichen frei erfundenen) Reden will Thukydides die historisch wirkenden Kräfte und die Motive der Politiker herausarbeiten; so würdigt die »Gefallenenrede« des Perikles (II, 35-46) die athenische Demokratie im Perikleischen Zeitalter, der »Melierdialog« (V, 84-113) formuliert das Macht-Recht-Problem. Die von Thukydides getroffene analytische Unterscheidung zwischen Anlässen und wirklichen Ursachen historischer Geschehnisse wurde zur Grundkategorie der Geschichtswissenschaft bis heute. Mitten im achten Buch bricht die Darstellung im Jahr 411 v. Chr. ab; das Werk ist unvollendet.
 
Obwohl Thukydides' Stil schwierig ist (archaisierende Sprache, reich an Anakoluthen und Parenthesen), hat er im Altertum stark gewirkt. Seine Darstellung wurde fortgesetzt von Xenophon, Theopompos und Kratippos. Sallust und Tacitus haben Elemente seiner andeutenden Knappheit übernommen. In der Neuzeit war er u. a. für T. Hobbes, D. Hume, T. Macaulay und L. von Ranke von Bedeutung; für F. Nietzsche war er der »echteste« Grieche.
 
Ausgaben: De bello Peloponnesiaco, herausgegeben von J. Claassen, bearbeitet von J. Steup, 8 Bände (5-81966-77); Geschichte des Peloponnesischen Krieges, herausgegeben von G. P. Landmann (Neuausgabe 1991).
 
Literatur:
 
W. Schadewaldt: Die Geschichtsschreibung des T. (1929, Nachdr. Dublin 1971);
 A. W. Gomme u. a.: A historical commentary on Thucydides, 5 Bde. (Oxford 1945-81, Nachdr. ebd. 1998);
 H. Strasburger: Die Entdeckung der polit. Gesch. durch T. u. Der Geschichtsbegriff des T., in: H. Strasburger: Studien zur Alten Gesch., Bd. 2 (1982);
 
T., hg. v. H. Herter (Neuausg. 1984);
 S. Hornblower: Thucydides (London 1987);
 E. Heitsch: Gesch. u. Situationen bei T. (1996).

Universal-Lexikon. 2012.