Ostgotenreich
Der Teil der Ostgoten, der in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts unter hunnischer Vorherrschaft gestanden hatte, war von Konstantinopel in Makedonien angesiedelt worden. Ihre dortige Machtstellung wurde von Kaiser Zeno (474-91) anerkannt, ihr König Theoderich (seit 471) zum magister militum ernannt. Wenige Jahre später gelang es dem Kaiser, zwei ihm unliebsame Mächte gegeneinander auszuspielen, als Theoderich auf seine Veranlassung hin mit dem Großteil der Goten nach Italien zum Kampf gegen Odoaker aufbrach. Odoaker hatte als Söldnerführer mit seinen germanischen Truppen in den weströmischen Thronstreit eingegriffen und 476 den letzten Kaiser, Romulus Augustus (verächtlich: Augustulus), abgesetzt.
Die Auseinandersetzung zwischen Odoaker und Theoderich endete nach über zweijähriger Belagerung Odoakers in Ravenna (der »Rabenschlacht« der germanischen Sage) im Februar 493 mit einem Vertrag, der beider gemeinsame Herrschaft über Italien vorsah; wenige Wochen später ermordete der Gotenkönig seinen Vertragspartner und ließ sich von seinem Heer als König über Goten und Römer akklamieren. 497 von Ostkaiser Anastasius (491-518) anerkannt, herrschte er mit dem Titel »Flavius Theodericus rex« gleichsam als kaiserlicher Regent in Italien. Sein Reich umfasste außer Italien auch Dalmatien, Teile Pannoniens, Noricum und Rätien.
Theoderichs Innenpolitik zielte auf die friedliche Koexistenz arianischer Germanen und katholischer Romanen, wenngleich der Vermischung beider Völker durch ein Heiratsverbot entgegengewirkt wurde; allein die Goten hatten Kriegsdienst zu leisten. Das lange Zeit gute Verhältnis zwischen Theoderich und den Goten einerseits und der katholischen Bevölkerung Italiens andererseits lag nicht zuletzt im acacianischen Schisma, der seit 484 bestehenden Spaltung von West- und Ostkirche, begründet, die Theoderich in eine Mittlerstellung zwischen (Ost-)Kaiser und römischen Katholiken brachte und ihm die Unterstützung des Papstes und der römischen Aristokratie sicherte. Dies änderte sich zusehends mit der Beilegung des Schismas 519.
Auch außenpolitisch war dem Gotenkönig nur bedingt Erfolg beschieden. Auf der Basis dynastischer Verbindungen mit den Königshäusern der Franken, Westgoten, Burgunder und Vandalen hatte er versucht, unter eigener Vormachtstellung ein germanisches Bündnissystem aufzubauen. Das Gelingen dieser Bündnispolitik verhinderte insbesondere die Expansion der Franken auf Kosten der Westgoten und Burgunder. Theoderich starb am 30. August 526 und wurde in dem noch zu seinen Lebzeiten erbauten Mausoleum in Ravenna beigesetzt.
Seine fast dreißigjährige Herrschaft galt den Zeitgenossen als Epoche des Friedens und der Gerechtigkeit; in der germanischen Heldensage lebte er als Dietrich von Bern (Verona) fort; kirchliche Quellen verketzerten ihn als Katholikenverfolger. Sein Reich ging nach 20-jährigem Krieg gegen den oströmischen Kaiser Justinian 553 unter.
Universal-Lexikon. 2012.