Abkürzung MS, Encephalomyelitis disseminata, häufige Erkrankung des Zentralnervensystems. Ursächlich scheinen neben genetischen Faktoren Viruserkrankungen in der frühen Kindheit von Bedeutung zu sein, die zu fehlgesteuerten Abwehrvorgängen führen. In Gehirn und beziehungsweise oder Rückenmark bilden sich verstreut Krankheitsherde durch Zerfall der Markscheiden und nachfolgende Gewebeverhärtung (Sklerose). Die Krankheit tritt meist zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr auf und verläuft entweder in Schüben oder langsam, zum Teil aber auch rasch fortschreitend. Mitunter kommt es zum Stillstand des Prozesses. Frauen sind etwas häufiger als Männer betroffen. Während einer akuten Erkrankungsphase wird die Blut-Hirn-Schranke durchlässig für bestimmte weiße Blutzellen (T-Lymphozyten). Hierdurch scheint es zu einer Schädigung in den Markscheiden zu kommen.
Das Zentralnervensystem kann in den verschiedensten Bereichen geschädigt werden. Entsprechend unterschiedlich ist die Symptomatik. Häufig finden sich Sehnerventzündungen mit meist vorübergehender Sehminderung oder Erblindung auf einem Auge, Gesichtsfeldausfälle, Augenmuskellähmungen mit Doppeltsehen und Augenzittern. Bei Befall des Kleinhirns kommt es zu Gangstörungen, zu skandierender (zerhackter) Sprechweise und zu Intentionstremor (Zielwackeln, z. B. beim Heranführen des Zeigefingers an die Nase). Oft ist die zentrale Bewegungsbahn (Pyramidenbahn) geschädigt. Es treten spastische Lähmungen, Reflexsteigerungen und pathologische Reflexe bei abgeschwächten oder fehlenden Fremdreflexen (z. B. Bauchhautreflexe) auf. Häufig ist auch die Blasenfunktion betroffen, und es kann sich eine Blaseninkontinenz einstellen. Seltener finden sich Darminkontinenz oder Potenzstörungen. Im fortgeschrittenen Stadium kann es außerdem zu psychischen Auffälligkeiten kommen mit depressiven Verstimmungen, intellektueller Leistungsminderung sowie scheinbarer, inadäquater Heiterkeit (Euphorie).
Bei über 90 % der Betroffenen können die Herde im Gehirn und inzwischen auch größere Rückenmarkherde durch Kernspintomographie nachgewiesen werden. Die Diagnostik wird durch eine Untersuchung der Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit erhärtet. Dabei werden bestimmte Eiweißveränderungen bei über 90 % der Betroffenen festgestellt. Neurophysiologische Untersuchungen mit Messungen der Nervenleitung auf unterschiedlichen Sinnesgebieten sowie Untersuchungen der Bewegungsbahnen lassen sowohl zurückliegende als auch aktuelle Schübe erkennen.
Zur Behandlung akuter Schübe dienen v. a. Cortisonderivate. Vorbeugend wird zur so genannten Schubprophylaxe bei häufigen Schüben neben dem bislang verwendeten Immunsuppressivum Azathioprin zunehmend Betainterferon eingesetzt. Die Anzahl der Schübe und das Fortschreiten der Behinderung können durch Betainterferonpräparate verringert werden. Außerdem stehen inzwischen weitere Substanzen, z. B. das Polypeptid Copolymer I, zur Verfügung. Muskelkrämpfe werden mit zentralen muskelerschlaffenden Mitteln behandelt.
Der Verlauf ist im Einzelfall nicht voraussagbar. Bei über einem Drittel der Betroffenen bestehen über Jahrzehnte nur geringe Funktionseinschränkungen. Bei den nicht so günstigen Verlaufsformen ist durch eine verbesserte medikamentöse Behandlungsmöglichkeit der Komplikationen, z. B. Blasenfunktionsstörungen oder spastische Lähmungen, die Prognose ebenfalls entscheidend günstiger geworden. Von großer Bedeutung sind ferner die Trainingsbehandlung in Form krankengymnastischer Übungen sowie psychosoziale Unterstützung. Einen besonderen Stellenwert besitzen die Selbsthilfegruppen für MS-Kranke (in Deutschland zu erfragen bei der Deutschen MS Gesellschaft mit Sitz in Hannover).
R. W. Heckl: M. S. Klinik, Differentialdiagnose, Behandlung (1994);
M. S., bearb. v. J. Kesselring (31997).
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Nerven: Aufbau von Nervenzellen
Universal-Lexikon. 2012.