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moralische Wochenschriften
moralische Wochenschriften,
 
Zeitschriftentypus der Aufklärung. Er entstand Anfang des 18. Jahrhunderts in England aus bürgerlich-puritanischer Kritik an Kultur und Lebensstil der Aristokratie; wegweisend für ganz Europa wurden die von R. Steele und J. Addison herausgegebenen Zeitschriften »The Tatler« (1709-11), »The Spectator« (1711-14) und »The Guardian« (1713). Moralische Wochenschriften waren besonders in Deutschland außerordentlich beliebt: Insgesamt sind für das 18. Jahrhundert 511 Titel nachgewiesen; ihre Blütezeit erreichten sie um 1750-80. - Die moralischen Wochenschriften verbreiteten die Ideen der Aufklärung in Verbindung mit Beiträgen zu verschiedensten Fragen des täglichen Lebens, sie enthielten Beiträge zur Jugenderziehung, propagierten Bildung und gesellschaftlicher Anerkennung der Frau und behandelten moralische und religiöse Fragen sowie Fragen des Geschmacks, sie führten in Deutschland darüber hinaus v. a. auch literarische und ästhetische, in England mehr politische Diskussionen. Verbreitete Darstellungsformen waren das Gespräch, Briefe, Tagebücher, Essays, auch Satiren, Parabeln, Allegorien, Porträts; die Beiträge erschienen anonym, stammten meist jedoch von den Herausgebern selbst; die Mitarbeit aller wichtigen Schriftsteller der Zeit an moralischen Wochenschriften ist bezeugt. - Trotz der Beliebtheit waren die moralischen Wochenschriften meist kurzlebig, das Erscheinen unregelmäßig. Zentren waren Hamburg (»Der Vernünftler«, 1713-14 von J. Mattheson; »Der Patriot«, 1724-26, u. a. von B. H. Brockes und Michael Richey, * 1678, ✝ 1761), ferner Halle/Saale (»Der Gesellige«, 1748-50 und »Der Mensch«, 1751-56, herausgegeben von S. G. Lange und Georg Friedrich Meier, * 1718, ✝ 1777) sowie Zürich und Leipzig, wo die für die deutsche Literatur bedeutendsten moralischen Wochenschriften entstanden, die »Discourse der Mahlern« (1721-23) von J. J. Bodmer und J. J. Breitinger und, als wichtige 4. Serie, 1723 »Die Mahler oder Discourse von den Sitten der Menschen« sowie »Die vernünftigen Tadlerinnen« (1725-26) und »Der Biedermann« (1727-29, beide von J. C. Gottsched), in denen literaturtheoretischen und ästhetischen Fragen breiter Raum zugestanden wurde. Aus den moralischen Wochenschriften entwickelten sich später einerseits spezielle Erziehungs- oder literarische Zeitschriften, andererseits die mehr unterhaltenden Familienzeitschriften. Eine durch Originalität und Qualität herausragende Zeitschrift war »Der Wandsbecker Bothe« (1771-76) von M. Claudius. Die moralischen Wochenschriften waren ein entscheidender Faktor bei der Entwicklung des bürgerlichen Selbstverständnisses im 18. Jahrhundert.
 
Literatur:
 
W. Martens: Die Botschaft der Tugend. Die Aufklärung im Spiegel der dt. m. W. (Neuausg. 1971);
 F. Rau: Zur Verbreitung u. Nachahmung des »Tatler« u. »Spectator« (1980).

Universal-Lexikon. 2012.