Mehrspurverfahren,
im Bereich der Popmusik häufig genutztes Aufnahmeverfahren in Tonstudios. Dem Tonmeister stehen für die Aufnahme eines Musikstücks mehrere Spuren (in modernen Studios vierundzwanzig und mehr Kanäle) auf einem bespielbaren Tonträger (2-Zoll-Magnettonband, Festplatte) zur Verfügung. Werden alle Instrumental- und Gesangsstimmen gleichzeitig auf ein Mehrspurband gebracht, wie das z. B. bei einem Livemitschnitt gar nicht anders möglich ist, so spricht man vom Mehrspursimultanverfahren. Man verwendet es in Studios, um zwar den Musikern ein gemeinsames Musizieren zu ermöglichen, jedoch nicht auf die Vorteile des Abmischens verzichten zu müssen. Der Tonmeister achtet nur darauf, dass die Einzelspuren voll ausgesteuert werden und die zu Gruppen zusammengefassten Einzelstimmen (z. B. Schlagzeug, Bläsersätze) in sich ausgeglichen sind. Die Abmischung erfolgt in der Regel zu einem späteren Zeitpunkt. Angewendet wird das Mehrspursimultanverfahren häufig bei Bigband-, Jazzgruppen- sowie Blasorchesteraufnahmen und bei Livemitschnitten.
Eine noch größere Bedeutung hat im Studio das Mehrspursynchronverfahren (Overdubbing). Man zeichnet die Stimmen einzeln oder in kleinen Gruppen unterteilt und zeitlich nacheinander (in mehreren Synchrongängen) auf jeweils getrennte Spuren des Mehrspurbandes auf. Der Vorteil dieses Verfahrens liegt darin, dass bei Fehlern (Intonations- und Spielfehlern, Temposchwankungen, Störgeräuschen) oder geringfügigen Änderungen des musikalischen Ablaufs, die sich erst während der Produktion ergeben, nicht die gesamte Aufnahme wiederholt werden muss, sondern nur die betreffende Stimme oder ein bestimmter Abschnitt in dieser Stimme. Die Reihenfolge der Arbeitsgänge beim Mehrspursynchronverfahren ist verschieden. Häufig dient ein vom Schlagzeuger oder von einem elektronischen Rhythmusgerät gegebener Grundschlag als Taktmarkierung. Dadurch werden Temposchwankungen vermieden. Zur besseren Orientierung aller Beteiligten nimmt man den Harmonieablauf und den Sologesang auf Informationsspuren auf, die später wieder gelöscht werden. Die eigentliche Aufnahme beginnt mit der Rhythmusgruppe, also Schlagzeug, Perkussion, Bass, Rhythmusgitarren, Tasteninstrumente. Man bezeichnet diese Spuren auch als Backing oder Basic Tracks (wörtlich »Hintergrund- oder Basisspuren«). Es folgen Soloinstrumente (z. B. Melodiegitarre, Bläsersätze, Streicher usw.), später der Background-Chor und der Sologesang, was jedoch nicht ausschließt, dass eine andere Reihenfolge der Synchronschritte vorgezogen wird und im Verlauf der Aufnahme bereits aufgezeichnete Spuren verändert bzw. erneuert werden. Die jeweils agierenden Musiker bekommen über Kopfhörer die bis dahin aufgenommenen Spuren zugespielt. Das kann jedoch wegen des Tonkopfversatzes zwischen Aufzeichnung und Wiedergabe nicht »Hinterband« erfolgen. Mehrspurtonbandgeräte sind deshalb dafür eingerichtet, dass die gerade nicht an der Aufzeichnung beteiligten Spurzonen des Aufzeichnungskopfes in der Funktion Wiedergabe arbeiten. Die vom Aufzeichnungskopf wiedergegebenen Signale werden dem Taktmischfeld zugeführt, wo man eine für den speziellen Synchrongang günstige Mischung einstellt. Diese Taktmischung ist nur als Zuspiel für die Musiker bei Synchrongängen gedacht und unterscheidet sich prinzipiell von der Mischung, die im Regieraum abgehört wird. Das Mehrspursynchronverfahren hat entscheidende Vorteile. Die musikalische und technische Perfektion kann mit vertretbarem Aufwand sehr weit getrieben werden. Bei jedem Synchrongang richtet sich die volle Konzentration auf die gerade aufzuzeichnende Stimme. Der einzelne Künstler hat beliebig viele Versuche, eine optimale Version zu erreichen, ohne dass andere Musiker mitspielen müssen. Es gibt die Möglichkeit, mehrere Varianten, beispielsweise eines Chorus, auch von verschiedenen Musikern auf Band zu bringen, um sich später für die geeignetste zu entscheiden. Die Aufnahme eines Titels kann zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt werden, auch an einem anderen Ort. Außerdem ist es möglich, die fertig synchronisierte Aufnahme in einem speziellen, entsprechend ausgerüsteten Mischstudio (Computerpulte) abzumischen, in dem die langwierige Synchronarbeit unökonomisch wäre, da man hierbei mit geringen technischen Mitteln auskommt.
In der Praxis sind Mehrspursynchron- und-simultanverfahren nicht streng voneinander getrennt. Es ist beispielsweise möglich, einen Titel mit der gesamten Bigband simultan aufzunehmen, anschließend in einigen Einzelspuren Korrekturen auszuführen und später Sologesang und Chor zu synchronisieren. Eine analoge Verfahrensweise nutzt man zuweilen, um Livemitschnitte für Schallplattenproduktionen aufzubereiten, d. h. einige Stimmen werden erneuert oder hinzugefügt, und die gesamte Aufnahme wird sorgfältig abgemischt, wie z. B. bei den Livetiteln auf der LP »Watch« (1978) von Manfred Mann's Earth Band. Das Extrembeispiel für musikalische Werke, die sich ohne Mehrspurverfahren nicht hätten realisieren lassen, stellen die frühen LPs von Mike Oldfield (»Tubular Bells«, 1973; »Hergest Ridge«, 1974; »Ommadawn«, 1975) dar. Bis auf wenige Ausnahmen wurden hier alle Instrumente von Oldfield selbst eingespielt.
Universal-Lexikon. 2012.